Unmittelbar nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich 1938 begannen die Nationalsozialisten die jüdische Bevölkerung systematisch aus allen Bereichen der österreichischen Gesellschaft auszugrenzen. Dies galt auch für das Gesundheits- und Wohlfahrtswesen. Die nun auch in Österreich in Kraft tretenden antijüdischen Gesetze und Bestimmungen betrafen rund 3.200 von insgesamt ca. 4.900 Wiener ÄrztInnen.
Verhaftungen, Plünderungen und "Arisierungen" von Sanatorien, Stiftungen, Arzt- und Kassenpraxen nahmen in Wien ein enormes Ausmaß an und zerstörten innerhalb kurzer Zeit die soziale und ökonomische Existenz der als jüdisch definierten MedizinerInnen. Mit 30. September 1938 verloren die jüdischen Ärztinnen und Ärzte ihre Zulassung. Nur eine kleine Zahl verblieb unter der Bezeichnung "Krankenbehandler" für die jüdische Bevölkerung, deren Zahl sich durch Vertreibung und Deportationen in Konzentrationslager und Gettos bis Kriegsende fast auf Null reduzierte. Ungefähr 220 Ärztinnen und Ärzte aus Wien wurden im Rahmen des Holocaust deportiert und ermordet.
Von der Wiener medizinischen Fakultät wurde rund die Hälfte der Hochschullehrer vertrieben und großteils durch aus der NS-Bewegung kommende Ärzte ersetzt. Ähnlich erging es auch den jüdischen StudentInnen, die innerhalb weniger Monate vom Studium ausgeschlossen wurden. Demgegenüber erfuhren "verdiente" NS-StudentInnen eine bevorzugte Behandlung. Die radikale Entfernung der Juden aus dem akademischen Bereich durch die Nationalsozialisten war Höhepunkt einer in Österreich weit zurückreichenden antisemitischen Tradition, die vor allem von deutschnationalen und völkischen, aber auch katholischen Studenten auf dem Boden der Universitäten eifrig gepflogen worden war. Antisemitische Kundgebungen, Proteste gegen die Berufung jüdischer Professoren und tätliche Angriffe auf jüdische StudentInnen waren lange vor 1938 an der Tagesordnung.
Den meisten verfolgten ÄrztInnen gelang die Flucht ins Ausland, hauptsächlich in die Vereinigten Staaten (mehr als 2.200) und nach Großbritannien (über 350). In den Aufnahmeländern selbst schafften es viele von ihnen allerdings nicht mehr, in ihrem Beruf wieder Fuß zu fassen. Neben den damit verbundenen menschlichen Tragödien bedeutete dieser Transfer von ärztlichem und wissenschaftlichem Potenzial für die österreichische Medizin einen beträchtlichen und dauerhaften Aderlass, nicht zuletzt deshalb, weil nach dem Krieg nur wenige der Vertriebenen zurückkehrten.