Die Rolle der Anthropologie in der NS-"Rassenpolitik"
Die Anthropologie war als wissenschaftliche Lehre von den biologischen Unterschieden zwischen den Menschen besonders anfällig für rassistische Denkmuster. Im Nationalsozialismus spielte sie eine wichtige Rolle bei der (schein-)wissenschaftlichen Untermauerung des rassistischen Weltbildes, besonders im Hinblick auf den Antisemitismus. Anthropologen waren aber auch konkret in die Verfolgung von Juden, Roma und Sinti und anderen Minderheiten verwickelt.
Im September 1939 nutzte das Naturhistorische Museum die Gelegenheit, 440 staatenlose jüdische Männer, die im Wiener Praterstadion inhaftiert waren, anthropologisch zu vermessen und zu fotografieren. Während die untersuchten Männer in die Vernichtungsmaschinerie der Shoah gerieten, landeten Tausende Fotos, Haarproben und Gipsabgüsse in den Sammlungen des Naturhistorischen Museums.
Anthropologen erstellten regelmäßig - gut bezahlte - Gutachten, um in Einzelfällen die Zugehörigkeit zu einer fiktiven "jüdischen Rasse" zu klären. Das Ergebnis einer solchen Untersuchung konnte für die Betroffenen über Leben und Tod entscheiden. Solche anthropologischen Gutachten spielten auch bei der Verfolgung von Roma und Sinti eine Rolle. Im Hauptgesundheitsamt beschäftigte sich eine eigene anthropologische Abteilung unter Dr. Werner Pendl mit der Begutachtung von jüdischen "Mischlingen", Roma und Sinti und Angehörigen anderer ethnischer Minderheiten. Die rassistische Politik und Gesetzgebung des Nationalsozialismus konnte letztlich nur legitimiert werden, weil die Wissenschaft scheinbar exakte Methoden der Zuordnung von Menschen bereitstellte.