Interview Karl Uher
Ja, wo soll ich anfangen? Also, wie gesagt, laut Unterlagen weiß ich, dass ich mit acht oder zehn Monaten im Bezirksgericht Josefstadt war, durch meine Mutter, und dort wurde ich ihr weggenommen und bin in die Lustkandlgasse gekommen.
Ja, was wäre dann das Nächste? Ja, ich bin zu verschiedenen Pflegeeltern gekommen. Insgesamt war ich bei drei. Eine [Familie] war in Jennersdorf. Als Kind natürlich, ja. Dann war ich bei meiner Pflegemutter in der unteren Steiermark, in Rannersdorf. Die war sehr gut, so eine Mutter hätte ich mir eigentlich gewünscht, aber am falschen Tag oder zur falschen Zeit war ich wo..., und dort ist eine Scheune abgebrannt worden. Und ich war ein Pflegekind, die hat ein Pflegegeld bekommen, und die hat es sehr schwierig gehabt, weil es Neider gegeben hat und so weiter. Und ich als Wiener Kind, in der Provinz eigentlich, wenn wo etwas war, [dann] war es der Schneider Karl, der Uher. Weil die haben alle einen Vulgonamen, die Häuser. Ja, und da bin ich einfach von der Polizei, in der Nazi-Zeit, mit dem Bürgermeister... [Der Schuldige], das war ich, haben mich zu ihm geführt und haben mich dort..., unter Zwang muss[te] ich zugeben, dass ich die Scheune, eine Strohscheune war es eigentlich, angezündet habe. Erstens war ich nie ein Raucher, bis heute nicht. Ich habe nie geraucht. Ich habe die Hütte auch nicht angezündet. Und [so] bin ich in die Heime gekommen, und nach drei Monaten hat sich herausgestellt, dass der eigene Sohn mit einem Freund, die haben dort geraucht, die Scheune angezündet haben.
Ich war ja unschuldig und bin auf den Spiegelgrund gekommen, ja. Und dort war ich sieben Monate oder siebeneinhalb Monate beim Doktor Groß. Aber da..., ich muss nur eines sagen: Ich habe Diphtherie dort bekommen, ob ich es normal bekommen habe, oder weil ja der die Versuche an den Kindern gemacht hat... Mein Bruder war auch dort, den habe ich aber noch nicht gekannt. Den habe ich erst in Mödling kennengelernt.
Und was mir auf dem Spiegelgrund aufgefallen ist, das ist vielleicht sehr wichtig: Wir haben immer den schwarzen Wagen hereinfahren sehen, aber wir haben nicht gewusst, dass das sterbende Kinder [sind], oder dass da etwas weggeführt worden ist, ja. Das war auffallend oft, wir haben halt nur gesagt: „Der schwarze Wagen ist schon wieder gekommen“, aber keiner von uns hat gewusst wieso und warum.
Ja, und dann bin ich nach Mödling [gekommen], eigentlich bis ’45, bis zum Umbruch, aber dort habe ich Erzieher, auch SSler gehabt, die verwundet waren. Der eine hat Pawel geheißen, ein ganz großer Nazi, der hat sich dann gestellt, als die Russen gekommen sind, und sie haben ihn erschossen, ja. Ist selbstverständlich, nicht. Dann eine gewisse Frau Weiß, dann ein Herr Pumm, der Friseur, der hat uns immer eine Glatze geschnitten. Ich habe Schachspielen müssen, weil ich gerne Schach gespielt habe. Habe ich gewonnen, habe ich eine Glatze bekommen, und dadurch bin ich eigentlich ein guter Schachspieler geworden.
Also, in Mödling hat es halt die vielen Strafen gegeben. Ich war kein braves Kind, ja, muss ich gleich sagen, ich war aufgeweckt. Ich bin aber geformt worden durch die damalige, wenn man es so will, Menschheit, oder Zivili[sation], weil da hat es kein Aufmucken gegeben, nur immer „Ja, ja“, oder, weiß ich, Kniebeugen. Der hat nur gedeutet, hinauf, hinunter, oder Mitte und wippen, was habe ich gemacht? Ich habe 20, 30 gemacht, dann bin ich stehengeblieben, ich habe aufgehört. Ja. Wieso, warum? Na, musste ich mich in die Ecke stellen, und am Abend, wenn wir Kinder schlafen gegangen sind, habe ich dann ins Dienstzimmer müssen, da sind zwei gewesen, immer mindestens zwei oder drei, und dann habe ich halt meine Hiebe bekommen.
Wer erwischt wird, [hat] zum Beispiel einen Tag, drei Tage oder eine Woche mit niemandem reden dürfen, ja. Wer erwischt worden ist, hat keinen Ausgang bekommen, oder es gab Sanktionen, ja. Das waren die leichteren Strafen, das bleibt im Hinterkopf, so gewisse Sachen. Dadurch bin ich oft..., und ich muss auch das sagen, in jedem Heim hat es Faustrecht gegeben, ja. Ich habe zu den Stärkeren gehört, obwohl ich nicht der Größte war, aber Raufen ist halt oft ein Vorteil, ja, und dadurch... Ich bin halt vielleicht aufgefallen, ich war aufgeweckt, aber ich habe auch keine Vorbilder gehabt. Nach wem hätte ich mich richten sollen, nicht?
Na, da ist ja keiner gekommen. Um mich hat sich ja keiner... Ich habe weder ein Paket bekommen oder etwas oder... Ja, ein paar Mal hat meine Stiefmutter, als ich in Mödling war, nachdem mein Vater mich kennengelernt hatte..., aber sie hat damals ja selber nicht viel gehabt. Weil sie hat ja, wie soll ich sagen, sie ist eine Halbjüdin, und mein Vater hat sich scheiden lassen müssen und so weiter, weil sonst wäre sie auch [nach] Auschwitz oder egal wohin gekommen, und da hat sie mir zwei, drei Mal ein Paket geschickt. Da waren halt Kekse oder weiß ich, ich glaube Zucker, weil ich gesagt habe..., und ein Wecken Brot oder zwei, viel hat man ja in einem Paket nicht bekommen können, nicht. Und eine Marmelade hab ich... Ich habe es ja nicht verlangt. Ich schätze es ja sehr. Ich weiß, sie hat eine schwere Zeit gehabt, und der Vater hat Pakete nach Hause geschickt, der hat sie fast ernährt, in der Hitler-Zeit, ja.
Schauen Sie, ich weiß nie, warum ich von einem Heim zum anderen gekommen bin. Das war eine Methode, dass erstens Kinder nicht zu lange beisammen sind. Da habe ich nie eine richtige Antwort bekommen, weil die Frage habe ich auch den Erziehern oder Erzieherinnen gestellt. „Warum bin ich überhaupt wo weggekommen? Warum bin ich nicht in einem geblieben?“ Das ist unüblich, das macht man nicht. Man versetzt, so wie oft bei Firmen, Leute nicht so lang [an einen Platz], damit sie nicht so gut..., oder ich weiß nicht genau. Den richtigen Grund habe ich nie... Es kann nie gewesen sein, weil sonst würde das ja wo aufscheinen, dass ich, ich meine, unfolgsam und, ja, schlimm [war], ja, das weiß ich, das gebe ich zu. Welches Kind ist nicht schlimm? Ich war ein bisschen schlimmer, weil mir hat niemand Regeln gesetzt, und die Regeln, welche die mir gesetzt haben, waren halt keine Regeln, nicht, für mich. Fragen Sie mich nicht, warum. Dass ich lieber Schläge ertragen [habe], oder Strafgruppe... Ich war in der Strafgruppe in Mödling, ein Steinboden, der hat einen Kübel Wasser ausgeschüttet, und wir haben durchrobben müssen, dann antreten, aufwischen, umziehen und wieder tadellos in der Stunde dort sein. Methoden also, die mir nicht eingegangen sind.
In den Keller, und zugesperrt. Und da bekommt man halt sein Frühstück, Mittag, Abendmahl, nicht. Und das ist nicht hell, also, dunkel, eh klar, Dunkelhaft.
Wenn einer geblödelt hat, der hat zum Beispiel mit dem Fuß getreten, wenn wir wo gestanden sind, und ich habe zurückgeschlagen, und ich bin natürlich vielleicht erwischt worden. Obwohl ich nicht der Dümmste bin, aber die haben ja auch, glaube ich... Vorwiegend suchen sie ein Kind aus, erstens, wo keine Eltern nachfragen kommen, ich war ja praktisch ein Außenseiter, ein Freiwild, ich war ja freigegeben, ja. Keiner ist gekommen, keiner hat etwas gesagt, und wenn ich wo... Beschweren hat es ja nicht gegeben. Wenn mich die an den Haaren gerissen haben und gezogen haben..., einmal haben sie mir Haare ausgerissen, bin ich davongelaufen, bin ich zur Direktorin hinauf, zur Frau Hable. Ich habe gesagt: „Schauen Sie mich an“ und so. Also die kommt herunter und sagt: „Also das darf es ja nicht geben.“ Aber wenn die Kinder gefragt werden, kein einziges Kind sagt, ja, ich bin geschlagen worden oder das und das war, weil ich bin ja meistens allein geschlagen worden von zwei oder... im Dienstzimmer, am Abend. Hat niemand gesehen, außer wenn ich eben vielleicht blaue Flecken oder etwas gehabt habe. So ist es. Keiner hat sich getraut zu sagen: „Ja, der wird geschlagen“, oder das und das war. Das ist ja das Feige in den Heimen. Die haben ja eigentlich alle Rechte gehabt. Obwohl ich sage, dass manche menschlich waren und normal waren, ja, aber das ist die Minderheit gewesen, wirklich die Minderheit. Weil die SSler, was soll... Ich bin nach Mödling gekommen, da hat es geheißen: Schwimmen, [um] sechs Frühsport. Schadet mir nicht, sportlich, ich war für jeden Sport. Um das Schwimmbad aufstellen, ich war Nichtschwimmer. Eins, zwei, drei, hineinspringen, da hat es keine Nichtschwimmer gegeben, nach drei, vier Tagen. Ich habe eben um mich geschlagen und Wasser geschluckt, aber nach drei, vier Tagen habe ich sehr wohl, wie ein Hund, angefangen zu schwimmen.
Ein Zahnarzt, na, da ist zwei Mal im Jahr ein Autobus gekommen, und da hat man... Wenn ich oder ein [anderer] Zahnweh hatte, da hat er sich eine geben können, ja, dass der Schmerz mehr war als der [im] Zahn, aber da hat es ja nichts gegeben. Der ist gekommen: „Wer hat Zahnweh, wer hat was?“ Angeschaut, sind irgendwie Bohrarbeiten oder etwas, also wir haben ja andere Schädigungen abbekommen, nicht. Die der Mensch erst später [merkt], wenn er denkt, was ist mir eigentlich alles entgangen, nicht, gesundheitlich, ja. Wenn du krank warst und Fieber gehabt hast, bist du ein, zwei Tage gelegen, es hat ein eigenes Krankenzimmer gegeben. [Über] Pflege brauchen wir sowieso nicht reden, nicht. Du hast halt deinen Tee oder Umschläge bekommen.
Ja, und dort bist du halt gelegen, und nach zwei, drei Tagen haben sie gesagt, kannst wieder auf die Gruppe gehen und aus war es, nicht. Oder wenn wo ein Loch oder Verletzungen war[en], also, das war nicht so... Also, die Methoden waren in allen Heimen. Wenn ich so grob überlege, war Kaiserebersdorf am ärgsten, weil man halt erwachsen ist und vielleicht andere Schmerzgefühle hat, weiß ich nicht, als ein Kind mit zwei, drei Jahren.
Also freilich ist unter den Kindern... Habe ich ja gesagt, da war auch Faustrecht. Wer da der Stärkste oder wer war, der hat dann einen Lakai gehabt, der hat ihm sein Bett gemacht, weil wir haben ja auch immer alle Wochen Klodienst gehabt, Tagraum, Schlafraum, Essen austeilen, und da war so eine ganze Liste, wer welche Arbeiten zu verrichten hat.
Aber die Starken, sagen wir der Gruppenstärkste oder weiß ich was, automatisch..., das ist so. Der hat alle Arbeiten für den gemacht, nicht. Sicher hat das..., der Erzieher weiß ja, sieht ja das gar nicht. Weil der macht etwas, geht fort, in einer Stunde komme ich, nicht. Wer es macht, ist egal. Und wenn bei uns einer unkollegial war... Um neun Uhr war schlafen, Bettruhe, Licht abdrehen, es hat kein Lesen, nichts gegeben, also was haben wir gemacht? Wir haben auch, wenn einer halt ein Verräter, Zuträger war..., [hat er, so] hat man gesagt, die „Decke“ bekommen, also, hat er seine Hiebe bekommen.
Aber Schäden habe ich von den..., nicht nur, das betone ich, nicht nur vom Spiegelgrund, obwohl sie nur [das] als Einziges anerkennen, aber in den Heimen, wo ich war, also in Mödling, wo man glaubt, ein Waisenhaus, war es nicht anders. Durch die SS-Leute, [es] waren zwei SSler, eine Frau, eine gewisse Frau Weiß, war es nicht anders. Meine Strafen dort waren ärger als in einem Gefängnis. Da heißt es ja auch nicht, mit dir darf keiner reden, oder Sprechverbot oder Korrektion, nichts zum Essen. Ich bin ja nicht umsonst in den Hungerstreik gegangen.
Also eine Mutter, oder ein Vater, der sollte doch schauen... Ich wurde nur gesteinigt, geprügelt, Nachteile, ich musste mich eigentlich immer wehren. Und da ist es oft vorgekommen, dass ich auch ein Unrecht begangen habe. Ja, dass mich einer angeht, einer schlägt mir einen Zahn ein, ich habe zurückgeschlagen, ich habe ihm drei eingeschlagen, ja. So ist es eben zugegangen. Ich war aber immer friedlich.
Na ja, die meisten Schläge habe ich vom Pfarrer bekommen im Jahre ’48/’49, ja. Also Ohrfeigen, dass ich gegen die Fensterscheiben geflogen bin, ich habe hinten ein Loch und so weiter, bin behandelt worden. Und da möchte ich noch sagen, deswegen [war es] auch in den Heimen schlecht, mehr oder weniger, weil ich ein Kind war..., aufgrund meiner Erlebnisse, Kinderlebnisse, habe ich überhaupt kein Vertrauen zu Pfarrern oder zur Kirche gehabt.
Und weil ich nicht richtig folgsam war, bin ich dann auch leider für 24 Monate nach Kaiserebersdorf gekommen, und dort brauche ich nichts sagen, ja. Das war ärger als jedes Gefängnis. Das Schwierigste... Als ich hingekommen bin, waren dort Strafgefangene und Zöglinge, ja. Ich bin als Zögling hingekommen und war in der Tischlerei mit zweijährigem Aufbau. Aber das war maximal circa ein Jahr, ein starkes Jahr. Dann sind die Strafgefangenen weg, und dann waren halt nur Zöglinge [dort], also Schwererziehbare, ich lasse nicht gelten, dass ich wirklich schwererziehbar war, nur mit mir hat man nicht geredet. Ich habe nur..., zum Beispiel, der eine hat einen Schlüsselbund mit 30 Schlüsseln gehabt, und ich bin am ersten Tag hingekommen, die haben gesagt, Doktor Mabuse, zwei Meter, 130 Kilo. Ich gehe hin, na der schlägt mir mit der Faust eine auf den Kopf, „Hirnpreller“ haben wir dann gesagt, ja. Ich bin drei Meter geflogen, ich war benommen und so. Ja, einmal bin ich hingegangen, das zweite Mal habe ich mich [dagegen] gestellt und bin es nicht, das war keine Frage. Was habe ich bekommen? Korrektion. Im Keller, ja. Korrektion, wenn ich fünf Tage bekommen habe, habe ich am zweiten und vierten Tag kein Essen bekommen, also bin ich in Hungerstreik gegangen: „Das brauche ich nicht.“ So habe ich es ihnen gezeigt. Am dritten Tag kommt der Pfarrer, reden, dass ich essen soll. Na, ich habe ihnen das [?], also das Essen nachgeworfen, ja. Weil dann bin ich eigentlich..., mit einem gewissen Alter bin ich ein – Tier will ich nicht sagen – fast ein Tier geworden. Weil ich konnte nicht verstehen warum, wieso.
Und dann, als sie mich [frei]gestellt haben, haben sie gesagt: „In drei Monaten sehen wir uns sowieso im Landesgericht.“ Ich habe halt ein Taschengeld bekommen und ein Heimgewand. Was habe ich gehabt? Ich habe in kein Kino oder wohin können gehen. Das war nicht so. Also ich war im ’50/’51er Jahr in Kaiserebersdorf. Und dort bin ich dann mit 19 Jahren, Großjährigkeit, entlassen worden, ja, und dann ist halt mein Weg weitergegangen, aber die Heime, überall. Ich war bestimmt in sechs, sieben, acht verschiedenen Heimen, als Kind.
Da, dass Sie sehen, ich habe den Bahnmeister gemacht [gibt PM Unterlagen]. Hinten auch, ich war dann Betriebsleiter im Wiener Hafen.
Ich habe ja auch nicht viel bekommen, ich habe, glaube ich, 5600 Euro als Entschädigung bekommen, ist super, ist einwandfrei. Aber die warten ja so lange, da sind ja schon vorher 30 oder 50 oder 200 gestorben, nicht. Ein jeder wird ja nicht so..., ja, so ein gutes Alter.