Interview Ernst Pacher
Ja, ich möchte einmal sagen, ich rede von meiner Geburt an, werde ich erzählen. Also ich bin am 2. 11. 1935 in Wiener Neustadt geboren, im Krankenhaus, bin dort auch vom damaligen Berndorfer Pfarrer getauft, römisch-katholisch getauft worden.
Auf jeden Fall, mein Vater war, wie soll ich Ihnen sagen, ein richtiger…, als die Arbeiteraufstände waren und die Arbeiterkämpfe, mein Vater war ein Kommunist, das kann ich belegen, ich habe sogar ein Ding, wo er in Hainfeld bei der Kommunistischen Partei war, und da war er Schriftführer, und die Kassa hat er gehabt, also die Parteikassa. Und die hat er im 32er Jahr zurückgelegt, aus dem einfachen Grund, weil sie ihn dauernd erwischt haben, wenn er Plakate…, der hat gut zeichnen und schreiben können, schöne Schrift gehabt, und hat ständig Plakate gemacht, selber hergestellt, und hat die Plakate..., die Pacher waren die meisten gestandene Feilenhauer, da in Sankt Aegyd oben war eine große Feilenfabrik.
Es war halt so, in Berndorf hat er dann keine Arbeit gekriegt, er war ständig arbeitslos, jetzt als der Hitler im 38er Jahr einmarschiert ist, sind viele nach Deutschland gegangen, also relativ viele, und da war eine ganze Gruppe dabei…, meine Tauftante hat mir erzählt, das ist auch eine Tante gewesen von meiner Mutter, die hat mir erzählt, dass der Vater eigentlich ein gestandener Kommunist war und ein guter Mensch, hat sie mir immer erzählt, und hat gesagt…, die hat immer mit ihm kommuniziert, in Berlin, der hat immer von draußen hereingeschrieben, Berlin, Potsdam-Babelsberg.
Nur habe ich später herausbekommen, leider viel zu spät, dass eigentlich die Mutter das schwarze Schaf aus der Familie Grill war, das heißt, ja das hätte aber auch kein Grund [sein dürfen], weil sie ist meine Mutter gewesen, aber heute leuchtet mir das ein, warum, weil sie [die Tante] immer erzählt hat und geredet hat, was ich auch heute glaube, dass sie den Vater verraten hat. Das glaube ich heute, aber…, da gilt die Unschuldsvermutung, aber es ist so, weil nicht lange danach ist sie geschieden worden. Also nach der Scheidung, es war nicht lange danach, ist er umgekommen und mit ihm die ganze Partie, da war ein Großauer, ein Vöslauer, von Baden war einer, von Neunkirchen war einer. Und meine Tante hat mir erzählt, dass das so eine Widerstandsgruppe war.
Und die Mutter ist dann, weil ich da nicht adoptiert worden [bin], nach Weißenbach hinaufgezogen, und da war ich bei ihrer Großmutter in Pflege, also das heißt, da bin ich tagsüber gewesen, und am Abend hat sie mich geholt, und da hat sie mich oft nicht geholt, und da war, daran kann ich mich auch noch erinnern, ihre Großmutter recht wild, weil die hat ja auch etwas vorgehabt, die war damals noch nicht so alt, und ja, das heißt, früher oder später hat sie nicht mehr aus können und hat mich nach Baden in ein Waisenheim gegeben, das war damals ein Waisenheim, das ist von einer Kongregation, von einer katholischen, die auch nach dem Krieg noch im Badner Spital tätig war, lange Zeit…
Ja, was soll ich sagen, also da ist es uns gut gegangen und auf einmal, im ’40er Jahr, das muss im Sommer gewesen sein, auf einmal, als ob ein Dampfhammer über mich gekommen wäre, auf einmal waren die Nazis da, lauter junge, so BDM-Mädchen kann man sagen, weil das waren lauter ganz junge, aber Sadisten, so etwas hat man noch nicht gesehen. Wie uns die gequält haben, die haben keine Rücksicht genommen. Wir sind auf eine Gruppe zusammengefasst worden, auf der einen Seite waren die Mädchen, auf der anderen Seite die Buben, und ja, die hat ein Dienstzimmer oben gehabt, weil im ersten Stock haben wir die Schlafräume gehabt und die Waschräume, so ein Waschraum, das war ja ein großer…, mit einem Steinboden, so ein Terrazzoboden, oder was das war, was ich so in Erinnerung habe, und da waren eine Menge Waschbecken, da haben wir immer antreten müssen: „Hier!“, und auf Befehl haben wir uns einseifen müssen...
Ja, es war leider so, und mehr oder weniger haben uns die gequält, diese Biester, Betten auf, Betten zu, also wenn irgendetwas nicht gepasst hat, oder wenn sie schlecht aufgelegt war, oder über die Stiegen hinunter bis in den Keller und wieder hinauf, „Kehrt!“ Und da hat alles funktionieren müssen, weil wenn da einer zu spät umgedreht ist, sind wir schon wieder dreimal auf und ab gegangen, furchtbar. Was denen alles eingefallen ist, um uns zu quälen, unwahrscheinlich, unwahrscheinlich, das kann man sich heute nicht vorstellen. Wenn ich mit meinen Buben so umgegangen wäre, die hätten mich gefragt, ob ich krank bin. Na ja, aber mehr oder weniger habe ich das auch überstanden.
Und ich weiß nicht wie oft, aber das... Ich kann fast sagen, ich kann mich nicht erinnern, dass ich einmal ein Heft gehabt hätte, welches in Ordnung gewesen wäre. Jedes Mal! Dann bin ich wieder den ganzen Tag in der Ecke gestanden, da hat sie mich…, da war so ein Zwischengang, weil von vorne und von hinten hat man über eine Stiege hinaufgehen können, weil wir waren im Mezzanin, oder wie das heißt, und da war so ein Zwischengang zwischen den Mädchen und zwischen den Buben, und da waren so Ecken, und da habe ich einen ganzen Tag in der Ecke dort stehen müssen, auf dem kalten Steinboden, barfuß, nein, das ist ein Wahnsinn, das werde ich auch nie vergessen. Dann habe ich, weil ich dauernd geweint habe, und dann habe ich Kopfweh bekommen, und weil ich dann so Kopfweh bekommen habe, dann habe ich wieder geweint, dann habe ich wieder ein paar Ohrfeigen bekommen, also das war furchtbar.
Und wenn wir Mittag gegessen haben, das ist mit Kaps gekommen, wissen Sie, was ein Kaps ist? Das waren so große Geschirre, so aus Aluminium, so in dieser Höhe mit einem Deckel, damit es dicht ist. Da ist eine Suppe gewesen, ein Kaps und ein Kaps für die Ding, meistens ja. Eintopf haben wir fast immer bekommen, aber das war…, wir haben auch Spinat und – auf das komme ich jetzt – zum Beispiel Rindfleisch bekommen. Da kann ich gar nicht daran denken, weil da kommt es mir heute noch hoch. Da haben wir müssen…, wenn einer..., weil wir die gehört haben, wenn sie gekommen ist, zuerst haben wir geplaudert, wenn sie drüben war, und wenn wir sie gehört haben, haben wir aufgehört zu plaudern. Und die ist dann hereingekommen: „Ach kucke da, wird schon wieder geschwätzt, alles auf, Hände nach oben, oder Hände nach vor, oder Hände nach oben.“ So hat sie uns stehen lassen, eine halbe Stunde, eine dreiviertel Stunde, oft auch eine Stunde. Das Essen war natürlich saukalt dann. Und jetzt dann der Spinat und das Rindfleisch, das Rindfleisch hat so viel Fett dran gehabt. Jetzt habe ich das essen müssen und habe mich erbrochen, natürlich. Ich habe das Erbrochene wieder essen müssen. Die hat sich neben mich hingesetzt und hat mir das hineingestopft, ein Wahnsinn.
Da hat sich dann die Gruppe zusammengetan, eine gewisse Gruppe hat sich dann natürlich herausgebildet, wenn wir darauf gekommen sind, der hat uns verpfiffen, seinetwegen haben wir jetzt die Strafe bekommen, eine Gemeinschaftssanktion war das, nicht. Und die Germanen, die Piefke, Weiber, die waren so etwas von sadistisch veranlagt, so etwas hat man nicht gesehen, also wo die das herhaben… Nur heute weiß ich, dass die bei der BDM, bei der sogenannten BDM, genauso gezüchtet worden sind wie bei der Hitlerjugend, die Mädchen sind genauso gezüchtet worden wie die Buben. Und na ja, der hat ganz einfach in der Nacht…, denn wir haben nur in Decken geschlafen, eine Federdecke haben wir keine gehabt, haben Decken genommen, wenn er geschlafen hat, gewartet bis er eingeschlafen war, Decken drüber, dass er nicht sieht, wer ihn schlägt, und dann haben wir mit allem Möglichen hin... Zum Beispiel, einen Zahnbecher in einen Socken, wir haben so Aluminiumzahnbecher gehabt, in einen Socken den Zahnbecher hinein und zusammengedreht und hingehauen, wo Platz war, der war am nächsten Tag voller Beulen und blauer Flecken. Also das heißt, da hat eine ganze Partie, eine ganze Gruppe, auf den eingedroschen wie gesagt. Der hat sich das überlegt, dass er jemals nochmals petzen geht.
Im Winter zum Beispiel, Handtücher, mit eiskaltem Wasser, warmes haben wir gar nicht gehabt, wir haben uns immer mit kaltem Wasser [gewaschen], haben wir das Handtuch so zusammengedreht, zusammengelegt und wieder zusammengedreht, so lange, das ist ein richtiger Knüppel geworden. Dann haben wir es beim Fenster hinausgelegt, haben es gefrieren lassen, das war beinhart gefroren. Mit dem haben wir dann hingedroschen, das muss man sich vorstellen. Also ich habe es zum Glück nie bekommen, weil ich war nicht so lange in einem Heim, drei Jahre, da war ich noch zu klein, außerdem habe ich nie etwas gesagt, ich habe mich sowieso nicht getraut das Maul aufzumachen. Den Mund habe ich mich dort nie aufzumachen getraut, weil das war immer gefährlich. Außerdem habe ich vor denen auch Angst gehabt, dass ich da wieder Stoff bekomme, und ich habe mich immer mehr oder weniger neutral gehalten, muss ich sagen, weil dort habe ich gelernt, wenn du ruhig bist, nichts redest, und das machst, was dir angeschafft wird, dann passiert dir nichts, dann geht es dir halbwegs.
Also, ich bin im Sommer ’43, das habe ich sowieso auch belegt, bin ich nach Hause gekommen, und das war natürlich auch eine Katastrophe. Jetzt hat die Mutter natürlich geschaut, dass sie eine größere Wohnung bekommt, und mit so vielen Kindern. Das heißt, ich bin im 43er im Sommer nach Hause gekommen, und im 44er Jahr im April, Mai ist das passiert, das mit den Fliegern da.
Naja, mit dieser Fliegergeschichte, ja da hat uns dann... Als wir gewunken haben, haben wir auf einmal gesehen, das sind Engländer oder Franzosen, aber ich bilde mir ein, dass es Engländer waren. Und da hat uns ein Blockwart erwischt, und zwar war das der Blockwart von einem anderen Block, nicht von dem der Mutter, zu dem hat die Dopplergasse gehört, bei ihr hat die Schneidergasse, oben Rinnböckstraße dazu gehört, und der hat natürlich einen Wirbel gemacht, der hat das gemeldet. Solche Idioten hat es noch immer gegeben damals, aber natürlich war es schon gefährlich, wenn wir da oben waren, weil die haben ja mit der Flak geschossen. Wenn die da oben mit der Acht-Acht mit der Flak mit den Sprenggranaten..., die Splitter – aber [an] das haben wir nicht gedacht, wenn dich so einer erwischt bist du weg vom Fenster. Und deswegen war es natürlich damals Pflicht, dass du in den Keller gegangen bist, in den Luftschutzkeller hat das damals geheißen, und der muss das gesehen haben, der hat uns verpfiffen.
Ja, dann bin ich in die Lustkandlgasse gekommen, das war eine Katastrophe, da hat einer mit dem anderen nicht reden dürfen. Wenn wir in den Hof geschickt worden sind, also hinuntergegangen sind, ohnehin unter Aufsicht, mussten wir im Kreis im Gänsemarsch gehen, und keiner hat reden dürfen mit dem anderen. Und dann sind wir vielleicht eine halbe Stunde unten gewesen, dann haben wir wieder hinauf müssen. Das war nämlich auf der Höhe oben, war so eine Abteilung, und ja, da waren Betten drinnen, und ich musste in einem Gitterbett schlafen, und das war mitten im Raum, und da waren vielleicht fünf solche Betten. Und da sind wir beobachtet worden.
Als ich auf den Spiegelgrund gekommen bin, da bin ich entweder am 13er oder am 15er [Pavillon] aufgenommen worden. Das heißt, da bin ich in ein Bad hineingekommen, Bad kann man sagen, da war eine Badewanne, das weiß ich noch, und ein Hocker war drinnen und natürlich die Eisentür, die große, und da habe ich mich ganz ausziehen müssen, haben sie mir die Kleidung weggenommen, und nackt habe ich hineinsteigen müssen, die hat Wasser eingelassen, das war eiskaltes Wasser, habe ich hineinsteigen müssen. Das heißt, das war schon hart, aber ich habe mir nichts anmerken lassen, weil ich mir gedacht habe, jetzt darfst du..., weil sonst sagen sie gleich: „Du bist eine feige Memme!“ Und mit solchen Sachen haben sie uns dauernd traktiert.
Und dann haben sie uns hinübergeführt auf einen Pavillon, ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wo ich zuerst war, am 11er oder am 9er. Ich glaube, weil ich erst achteinhalb Jahre war, bin ich wahrscheinlich auf den 9er zuerst gekommen, aber ich bin zwischen 9er und 11er hin und hergegangen, das weiß ich, einmal dort, einmal da.
Ich habe nur gewusst, dass der 9er und der 11er..., und neben dem 9er der 7er war, weil wenn ich Strafe stehen musste, es war saukalt im Winter, habe ich hinübergesehen auf den 7er, in den Hof, da waren lauter, wie soll ich Ihnen [sagen], Verwundete, und die waren verbunden und alles Mögliche und solche, die durchgedreht haben, und irgendwann einmal haben uns die Erzieher gesagt, dass das lauter Kampfflieger waren oder sonst etwas, die abgestürzt sind, oder in einen Scheinwerferkegel hinein gekommen sind und mehr oder weniger verrückt geworden sind, oder während des Krieges in Dauerbeschuss geraten sind. Haben sie gesagt, das sind lauter [Menschen], die nicht mehr ganz in Ordnung sind. Weil die haben da oben Flieger gespielt, der ist auf den Baum hinaufgeklettert, daran kann ich mich gut erinnern, sie haben Flieger gespielt. Er ist hinuntergesprungen, und dann mussten sie ihn wegtragen. Das ist genau vis-à-vis von dem 7er-Garten, vom 7er-Pavillon, da hat man hinüber gesehen, da war so auf der Höhe oben so ein Vorbau, aber aus Metall, vergittert, und da war ein Steinboden drinnen, und da mussten wir strafstehen, saukalt, und da haben wir das gesehen, darum weiß ich das vom 7er.
Auf jeden Fall, auf dem Spiegelgrund ist es dann nach einem anderen Ton gegangen. Da haben wir nur mehr das sagen dürfen, reden dürfen, wenn es uns erlaubt war, und ja, und da ist mir unter anderem auch etwas Gutes [passiert]. Ich muss sagen, es waren auch gute Erlebnisse, ich meine für ein Kind und für die damalige Zeit, wenn du am Spiegelgrund warst, war das mehr oder weniger etwas Unwahrscheinliches, was dir da auch untergekommen ist. Zum Beispiel habe ich einen Abszess gehabt unter dem Arm, einen Schweißdrüsenabszess unter dem linken Arm, das weiß ich noch ganz genau.
In der Nacht, und ich habe schon nicht mehr schlafen können, weil mir das weh getan hat, ich habe nicht einmal mehr die Hand so hingebracht, das ist immer mehr angeschwollen und so. Also das heißt, die Gefahr, dass ich eine Blutvergiftung oder etwas bekomme, war wahrscheinlich sehr groß. Und das hat aber die Windhager gewusst. Weil die Windhager hat damals dann Nachtschicht gehabt, also die ist in der..., Nachtdienst hat das damals geheißen. Auf einmal so um halb eins, eins in der Früh, ich kann mich erinnern, weil ich bin dann in der Ambulanz auf so einem Ding gelegen, und da war eine Uhr, und auf die habe ich geschaut, da war es halb eins, viertel, halb eins. Und [sie] hat mich dort geschnappt, Gewicht habe ich ja keines gehabt, wir waren ja total nur Haut und Knochen, und hat mich hinausgetragen und hat gesagt: „Pscht, nichts sagen, mach’ keinen Wirbel, rede nichts, weil auffliegen dürfen wir nicht. Ich trage dich jetzt hinauf, hinaus in die Ambulanz und mache dir das auf, aber du darfst nichts sagen.“
Und die Windhager hat mir eh..., als sie mir das ausgedrückt hat, hat sie mir das erklärt, hat sie gesagt: „Weißt du, da war einer da, ein Arzt, der hat dich auf eine Liste gesetzt, du bekommst eine Spritze. Und ich werde das jetzt verhindern, dass du eine bekommst, weil wenn das aufgegangen ist und gut ist, dann...“
Ja die Geschichte mit dem Wagen, also das heißt, das stimmt einmal schon, das mit dem Wagen, wie es der Herr Kaufmann beschreibt, das stimmt vollauf. Nur, wie es er beschreibt, das weiß ich nicht, weil wir nicht..., habe ich sowieso schon gesagt, das haben wir nicht so mitbekommen. Wir haben den Wagen zwar öfters gesehen, da ist entweder einer oder zu zweit sind sie da unterwegs gewesen, in einer speziellen Kleidung, und ja, und einmal, als wir gerade unterwegs waren in Dreierreihen – wenn, dann sind wir nur in Dreierreihen unterwegs gewesen –, haben wir natürlich, neugierig wie wir waren, haben wir immer hingeschaut. Und da hat uns einmal einer angegrinst und hat gesagt: „Willst du auch da hinein?“ Und dann haben wir Angst bekommen, weil das Grinsen allein war für mich schon ein Wahnsinn. Und da haben wir natürlich das nächste Mal, wenn ich das gesehen habe, haben wir immer weggeschaut, also das heißt, ja nicht hinschauen, weil sonst liegst du wirklich da drinnen, das weiß man ja nicht, weil damals hast du mit allem rechnen müssen. Weil zeitweise sind ein paar Buben verschwunden, und wenn du gesagt hast, kommt der nicht mehr oder was, ist der heimgekommen oder was. „Frag nicht so blöd, sonst kommst du auch dorthin.“ Also das heißt, solche Antworten haben wir oft bekommen von den Erzieherinnen, meistens waren es Erzieherinnen, dass wir natürlich..., wir haben nicht mehr gefragt, also waren wir nicht mehr neugierig. Das war auch ein Problem, das neugierig sein, da hast du aufpassen müssen. Das hast du nicht einmal unter deinen Freunden erzählt, weil du hast ja nicht gewusst, ist das ein Freund oder nicht.
Und jetzt ist es dann auf das Ende des Krieges zugegangen, da war Weihnachten, einen Christbaum haben wir schon gehabt, aber da waren lauter Brotbrösel, also Brotstücke in Stanniol eingewickelt, also sonst war da nichts oben. So Stanniolpapier, und da waren Brotbröckeln eingewickelt, das weiß ich auch noch. Außerdem haben wir ein Weihnachtslied gesungen, das nicht „O Tannenbaum“ oder etwas war, sondern „Hohe Nacht der klaren Sterne“. Habt ihr davon schon einmal etwas gehört? Die Nazis haben ein eigenes Weihnachtslied gehabt. Und zwar hat das geheißen: „Hohe Nacht der klaren Sterne, die wie weit entfernet sind, heut’ muss sich die Welt erneuern, wie ein junggeborenes Kind.“ Das heißt, da haben wir mehr oder weniger den Hitler besungen, wahrscheinlich, weil so haben wir das singen müssen. Also das heißt, nicht „Stille Nacht, heilige Nacht“, das habe ich gar nicht gekannt.
Und so ist halt der Krieg schön langsam zu Ende gegangen, und dann ist ausgerufen worden im März, April, dass die Kinder abgeholt werden können, vom Spiegelgrund, das haben wir gewusst, das haben sie uns gesagt: „Eure Eltern können euch holen.“ Also alle sind geholt worden, die meisten, aber ein paar sind wir übriggeblieben. Meine Mutter hat mich nicht geholt, die hat gesagt: „Also, da warst du eh gut aufgehoben“.
Und das Problem war, dass wir sie nachher wieder gesehen haben, dieselben Erzieherinnen, Erzieher sind wieder in den Heimen gewesen, das heißt, dort war ich... Ich kann mich noch erinnern, meinen Geburtstag habe ich schon in Breitensee – das weiß ich – feiern müssen, und ich habe aus Bayern, weil wir dann beten gelernt haben, und in die Kirche gehen haben müssen, dass uns der Pfarrer gegen die Bauern ein bisschen unterstützt hat, dass sie uns die Milch nicht verwässern, die sie abliefern haben müssen fürs Lager... Habe ich einen Rosenkranz, also wir haben einen Rosenkranz bekommen vom Pfarrer. Und eigentlich war das alles, das war ein Kleinod für mich. Den haben sie mir dann gestohlen dort in Breitensee. Da war ich natürlich ganz verbittert, und da habe ich dann gemerkt, wie mit Kindern, die behindert sind..., da haben wir einen gehabt, der war, ich weiß nicht wie man das nennt, Spas[tiker], der hat, sie wissen ja, die Knie hat er so eingedreht gehabt und hat nur so gehen können. Der hat sich tapfer geschlagen. Der hat sich verkühlt, der hat genau das machen müssen, was wir auch gemacht haben, auf den ist überhaupt keine Rücksicht genommen worden. Und der war aber zu seinem Pech auch ein Bettnässer, das ist, weil er eigentlich nur immer herumgeschoben worden ist. Aber nur hat uns der leidgetan. Da habe ich einen gehabt, der war mit in Bayern, zu zweit sind wir dort hingekommen und auf die Gruppe gekommen. Und der hat auch immer aufgestoßen, wie man so sagt, der hat wie ein Wiederkäuer aufgestoßen und hat das wieder geschluckt, und wenn die Schwester oder die Erzieherin – Schwestern waren ja das keine, es war eine Erzieherin –, wenn ihn die erwischt hat, dann hat sie natürlich geschrien mit ihm. Der war immer ausgegrenzt. Und das war dann so, der war Bettnässer, und der hat dann nicht mehr herausdürfen, dem haben sie auch kein frisches Leintuch gegeben, nichts, der hat müssen wieder in dem nassen Bett liegen und so, der hat sich nicht helfen können. Dann hat er strafweise nichts zu essen bekommen. Das muss man sich vorstellen, zu dieser Zeit, wo wir auch fast nichts bekommen haben, weil ja nichts da war, haben sie dem gar nichts gegeben. Jetzt haben wir, wenn wir ein Stück Brot gehabt haben, haben wir es uns geteilt und haben ihm auch etwas gegeben. Es war aber so, dass der nachher verkühlt war, logisch, wie es kalt war, ist ja im Winter gewesen dann, es ist ja kalt gewesen, und na ja, dem hat kein Mensch geholfen. Sind wir zur Erzieherin gegangen, dass es dem nicht gut geht, der hat Husten, der hustet soviel, und der hat sich verkrochen in der Heizung, da war so eine Verkleidung, da hat er sich in die Heizung nach hinten verkrochen, im Schlafsaal oben. Wir sind hin und haben ihn gefüttert, und der hat sich auch nicht helfen lassen von uns, weil er gewusst hat, dass es dann vielleicht wahrscheinlich uns auch nicht gut geht. Und das war auch so, wie wir dann gesagt haben, dass es dem nicht gut geht, der braucht einen Arzt oder etwas, also mehr haben wir nicht gebraucht, die hat gesagt: „Das geht euch überhaupt nichts an, also wenn ihr euch da noch einmal einmischt, geht es euch auch nicht gut...“
Solche Erzieherinnen haben wir nach dem Krieg wieder gehabt, genau wie sie auch auf dem Spiegelgrund waren. Also eine Katastrophe, in meinen Augen, und von da an bin ich sehr sehr vorsichtig geworden. Weil es war dann so, dass der wirklich ins Spital gekommen ist, weil wahrscheinlich hat sich dann irgendeine erbarmt und ist hingegangen und hat gesehen, dass er wirklich schon ganz schlecht beisammen war. Haben sie ihn schnell in das Spital [gebracht], dort ist er gestorben. Und dann kann ich mich erinnern, hat die Oberschwester, oder Heimmutter, oder Heimerzieherin, wie das war, die haben dann geredet, also die dort verantwortlich war, in Breitensee, die hat dann gesagt: „Jetzt kann ich auch noch aufs Begräbnis gehen von dem.“ Das haben wir gehört. Wir waren schon so gefeit vom Spiegelgrund her, und weil ich vorher als Kleiner schon..., ab viereinhalb Jahren war ich da in Baden in so einem Naziheim, ich war nur im 43er, von ’43 auf ’44 ein halbes Jahr zu Hause, länger war ich nicht zu Hause. Und dann bin ich auf den Spiegelgrund gekommen, also das heißt, man lernt, man eignet sich allerhand an und lernt natürlich, was man besser nicht tut, nicht auffallen und so, das habe ich sowieso schon einmal beschrieben.
Aber das was ich selber gesehen habe, das rennt ab wie ein Film bei mir. Seit ich mich da involviert habe im 99er Jahr, als sie den Gauner wieder freigelassen haben, muss ich sagen – den Groß, nicht –, läuft das ab wie ein Film. Meine Frau sagt oft, in der Nacht schreie ich, ich weiß aber nicht warum, kann mich nicht..., kann man nichts sagen. Ich kann nichts sagen, ich kann mich nicht erinnern, ob ich etwas geträumt habe, sie sagt, ich schreie halt. Hier und da, nicht immer, aber manchmal ganz schön laut, sagt sie. Jetzt habe ich gesagt, sie soll mich gleich aufwecken, vielleicht kann ich mich noch erinnern, was ich da [träume]. Hat sie gesagt, nein, ich lass dich schlafen, weil du hörst eh wieder auf, hat sie gesagt. Ein Wahnsinn. Ja, also das heißt, so wie die Psychologen sagen, dass das alles mit dem Alter erst so richtig hervorkommt, das ist wahr, weil manchmal quält mich das, das ist ein Wahnsinn.