Interviews Ausschnitte
Leopoldine Maier:
Meine Lebensgeschichte, ich rolle sie von hinten auf. Gerettet bin ich eigentlich worden durch eine Krankenschwester, die meiner Mutter gesagt hat, wenn sie mich nicht jeden Sonntag besucht, auch wenn sie mich nicht sehen darf, dann verschwinde ich irgendwann. Und die Kinder, die nicht besucht werden, die verschwinden, die verkommen irgendwo. Und sie ist dann wirklich gekommen, jeden Sonntag, und ich durfte sie nicht immer sehen. Wenn ich abgenommen habe, durfte ich sie nicht sehen, wenn ich nicht aufgegessen habe, durfte ich sie nicht sehen, wenn ich erbrochen habe, durfte ich sie nicht sehen. Dann ist sie nach Mödling wieder zurückgefahren nach Hause und so ist das Ganze irgendwie für sie umsonst. Und das war das Ende. Und sie hat mich dann mit aller Gewalt heraus bekommen, ’44, also Ende ’44, und hat mich mit nach Hause genommen, eigentlich gegen den Willen der Leute dort. Meine Erinnerung ist ein riesiger Schlafsaal, mit Eisenbetten und Matratzen ohne Leintuch, und ein Speisesaal mit einem Holztisch, mit dem Essen, das man erbrochen hat, essen musste, solange, bis es weg war. Und die Wiegetage immer am Samstag, das war das Abnehmen und das Besuch-Bekommen oder Nicht-Besuch-Bekommen. Das ist immer dort entschieden worden, da war ich immer schweißgebadet, habe immer erbrochen vorher vor lauter Frust, und natürlich war die Gewichtszunahme bei mir einfach nicht da. Und ich glaube, wenn ich da nicht rechtzeitig weggeholt worden wäre, das hätte ich sicher nicht überlebt.
Friedrich Zawrel:
Und, das ist dann eine Weile gegangen, dann haben sie die Dinger abgesetzt, dann haben sie die Wickelkur gemacht, die war auch so grausam. Ambulanzliege, zwei trockene Leintücher, zwei nasse Leintücher, splitternackt ausziehen, und dann sind die Leintücher so zusammengeschlagen worden wie bei einer Mumie, und überall bist du ab... – nur den Kopf haben sie freigelassen – überall abgebunden worden mit so Gürteln, und dann bist du in der Zelle gelegen, haben sie mich auf die Erde gelegt, und ich habe nur auf den Himmel hinauf, also auf den Plafond hinauf gesehen. Ich habe mich nicht nach links drehen können, ich habe mich nicht nach rechts drehen können, Füße nicht ausstrecken, Füße nicht einziehen, und das soll einmal einer probieren, wie lange er es in einem Bett aushält, ohne dass er sich umdreht, nicht. Und da habe ich oft schon gesagt, also da habe ich wieder..., ich habe eine Zeit dann zu Beten aufgehört, weil ich mir gedacht habe, mir hilft sowieso niemand, aber damals habe ich wieder angefangen, und da habe ich noch um Verzeihung gebeten, dass ich das so lange nicht gemacht habe, weil ich geglaubt habe, es wird mir geholfen, aber es ist mir nicht geholfen worden. Und wenn sie dich herausgelassen haben, waren die Leintücher nie trocken, weil du in deinem eigenen Urin gelegen bist. Und ganz grausam war das, wenn es dich da jetzt dadurch wo zu jucken angefangen hat, und du hast es nicht kratzen können oder so, und du hast es ertragen müssen, bis das von selber abgeklungen ist, das war schon..., das war schon eine bestialische Sache, die sie da gemacht haben. „Schlemperkur“ genauso, eiserne Badewanne, eiskaltes Wasser, hinunter, hinauf, hinunter, hinauf, hinunter, hinauf, dass du bald schon geglaubt hast, du erstickst da. Warum sie das gemacht haben, weiß ich nicht, aber, sie haben ihre Pflicht getan. Da wird sich der Führer gefreut haben.
Alois Kaufmann:
Grauenhaft. Wir haben uns gegenseitig geprügelt, die Stärkeren die Schwächeren, auf Wunsch der Erzieherinnen, das war ihnen sehr recht, ja. Wir haben die Betten auseinander genommen, dass er durchgefallen ist, wir haben uns gegenseitig geschlagen, wir haben uns ins Wasser ... Wir haben alles das gemacht, was die Nazis gerne gesehen haben, haben wir uns gegenseitig angetan, ja. Solidarität war da keine. Herr Doktor, wenn Ihnen das einer erzählt, dann hat er die Märchenstunde von der Tante Jole erzählt, aber die Kinder untereinander, der Schwächere war der Schwächste und der Stärkere... Das wurde im Prinzip auch unter den Kindern unter sich, und beim Essen dasselbe, als ob sie... Um zwei Zehntel Schöpflöffel Suppe haben wir..., zwei Zehntel Schöpflöffel Suppe, ja, da ist gerauft worden, um den letzten Rest.
Ernst Pacher:
Als ich auf den Spiegelgrund gekommen bin, da bin ich entweder am 13er oder am 15er aufgenommen worden. Das heißt, da bin ich in ein Bad hineingekommen, Bad kann man sagen, da war eine Badewanne, das weiß ich noch, und ein Hocker war drinnen und natürlich die Eisentür, die große und da habe ich mich ganz ausziehen müssen, haben sie mir die Kleidung weggenommen und nackt habe ich hineinsteigen müssen, die hat Wasser eingelassen, das war eiskaltes Wasser, habe ich hineinsteigen müssen. Das heißt, das war schon hart, aber ich habe mir nichts anmerken lassen, weil ich mir gedacht habe, jetzt darfst du..., weil sonst sagen sie gleich: „Du bist eine feige Memme!“ Und mit solchen Sachen haben sie uns dauernd traktiert.
Karl Hamedler:
Bei der nächsten Gelegenheit, da haben wir dann spazieren gehen dürfen mit einer Schwester, und da habe ich die Gelegenheit genutzt, sind wir spazieren gegangen in der Maroltingergasse unten in Ottakring, wo die Endstation vom 46er ist, und damals hat es noch die offenen Beiwägen bei der Straßenbahn gegeben. Und wir sind dort vorbeigangen, und da ist gerade ein 46er dort gestanden, bin ich hinaufgesprungen und weg war ich. Na, und bin dann automatisch in den Prater hinuntergefahren, in den 2. Bezirk, das war ein Magnet für mich. Und dort haben sie mich dann nach zwei Tagen wieder erwischt, haben sie mich wieder auf den Spiegelgrund gebracht. Da bin ich einmal in eine eiskalte Badewanne geworfen worden, zur Ernüchterung. Ich weiß nicht, betrunken war ich aber nicht, wozu eine Ernüchterung?
Ferdinand Pauer:
Da hat es nicht viel gegeben. Da hat es nicht geheißen „Du bist der Herr Pauer, und du bist das...“, das war uninteressant, du warst eine Nummer, aus. Wenn du nicht gefolgt hast, hast du eine Strafe bekommen. Da hat es nicht viel gegeben, nicht viel zur Auswahl. Kannst nicht sagen: „Ich will das Bett haben oder ich will da oder etwas“, das hat es nicht gegeben. Das gehört dir und aus, basta. Betten haben wir machen müssen, gerade wie ein Strich, so genau, sonst hat er es dir auseinandergerissen und noch einmal machen . Das war auch die Erziehung damals.
Alfred Grasel:
Ich habe immer geglaubt, es wird besser, habe mir immer gedacht, es wird freier. Mir war alles recht, und eine Reise, mit dem Zug und so, war angenehm, fein. Wer weiß, wie es uns jetzt geht und so. Na, dann bin ich dort ins KZ und dann hat schon der Drill angefangen, mit dem Messen, Vermessen, und das Anschreien: „Stehen Sie gerade!“ – „Sie“ haben sie ja nicht gesagt, sondern: „Steh gerade!“ – Und dann hat es keinen Namen mehr gegeben, sondern nur Nummern. Meine Nummer, das zufällig habe ich mir gemerkt, weil ich mir Zahlen merke, war sieben-achtundsechzig. Circa 1000 Jugendliche waren in dem KZ. Und ich war eingeteilt zum Kartoffelsortieren. Als Neuer. Und da mussten wir im Keller unten die Kartoffeln sortieren: kleine, mittlere und große. Ich glaube, der Sinn war nur, dass ziemlich alle gleich große kriegen. Nichts anderes, nicht dass der eine mehr oder weniger, und da habe ich ein paar Kartoffeln gestohlen und habe sie mitgenommen. Und wir haben so einen kleinen Ofen in der Baracke gehabt, und da haben wir gebraten. Natürlich hat das die SS gerochen. „Was ist?“ War nichts übrig geblieben, habe ich mich gemeldet. Dafür hat es gegeben 15 Stockschläge auf den nackten Hintern. Musste man sich ausziehen, über einen Schemel knien und mitzählen: „eins, zwei…“. Und am Schluss: „Zögling sieben-achtundsechzig hat 15 Stockschläge dankend erhalten.“ Das war die Bedingung: „Dankend!“ Also sadistisch bis dorthinein.
Karl Jakubec:
Also das, immer wieder und immer wieder, das was ich immer wieder sage: Man hat uns die Würde gebrochen. Also man hat zu keiner Würde kommen können. Also wie die gemerkt haben, dass du ein bisschen etwas darstellen willst oder irgendwas, dass du sagst, ich habe ja etwas, ich kann ja etwas vorzeigen, ich kann ja etwas, das ist sofort unterdrückt worden. Das ist sofort unterdrückt worden. Das war am Spiegelgrund, das war in allen Heimen alle durch, ganz egal, ob es katholisch ist, da. Also von den katholischen will ich sowieso nicht viel sagen, weil da.... Ob es katholische waren, oder die Schwererziehbaren, wie sie alle geheißen haben, wie die gemerkt haben, dass du ein bisschen aufkeimst, mit einer Würde oder etwas, haben die dir sofort das Genick wieder gebrochen und haben dich sofort wieder hinuntergedrückt auf den Boden. Du gehörst da hinunter auf den Boden, und du hast da oben nichts zu suchen. Das haben sie dich so spüren lassen und so Ding, da hat es nichts gegeben. Also wie du geglaubt hast, du kannst ein bisschen ein Ding, haben sie dir da sofort den Daumen wieder hinuntergedrückt, also unwahrscheinlich. Und so war das durch die Bank.
Ferdinanz Schimatzek:
Ja, also erinnern kann ich mich an diese Sachen und zwar, das Schreckliche was war, an die Zucht und Ordnung kann ich mich schon erinnern und auch an diese sogenannten „Speiberln“, Brechtabletten, also daran kann ich mich gut erinnern, aber auch erst wieder seit ich das gehört habe, aber ich weiß, ich habe es gefühlt und zwar mit dem leeren Magen erbrechen müssen, weil das gereizt war, das war natürlich eine wirkliche Strafe, das ist meine Erinnerung;
Rudolf Karger:
Also, das kann ich auch sagen, ich habe, ah, das, wie das, wie das alles gefunden worden ist, meine Sachen da, und ich habe das durchgelesen, das war für mich eine Katastrophe. Ich habe ein Jahr nichts sprechen können. Ich habe mich zurückgezogen gehabt, ich habe Rotz und Wasser geheult, weil ich das, weil ich das nicht verstanden habe, dass man so gemein sein kann, uns dort hinschicken, das haben sie schon gewusst gehabt, dass am Spiegelgrund..., was da los ist, die Vormundschaft. Und die Falschheit, was die über mich geschrieben haben, mit meiner Familie, was gar nicht stimmt. das hat mich furchtbar…, da war ich k.o. Ein Jahr war ich da k.o. Und vom Spiegelgrund kann man ja gar nicht reden, weil das war ja eh… Ich bin da mit elf Jahren hinaufgekommen, elf Jahre war ich damals. Also zuerst war ich in der Lustkandlgasse da, die 14 Tage, drei Wochen, zur Untersuchung, da bin ich hinaufgekommen auf den Spiegelgrund, also das war…, also ich kann mich an keinen Tag erinnern, wo keine Strafe war, ich habe keinen Tag erlebt ohne Strafe. Und es waren bestialische, sadistische Strafen waren das. Die haben uns stundenlang stehen lassen, und das, also was noch furchtbar war, wenn die eine Schwester, wenn die Dienst gehabt hat, haben wir genau gewusst gehabt, jetzt sind wir vom Abend bis in die Früh gestanden vor den Betten, nur mit dem Nachthemd bekleidet. Im Sommer haben wir die Fenster zu gehabt, und im Winter haben wir die Fenster offen gehabt, das müssen Sie sich jetzt vorstellen. Das war gang und gäbe.
Karl Uher:
Aber Schäden habe ich von den..., nicht nur, das betone ich, nicht nur vom Spiegelgrund, obwohl sie nur als Einziges anerkennen, aber in den Heimen, wo ich war, also in Mödling, wo man glaubt, ein Waisenhaus, war es nicht anders. Durch die SS-Leute, waren zwei SSler, eine Frau, eine gewisse Frau Weiß, war es nicht anders. Meine Strafen dort waren ärger als in einem Gefängnis. Da heißt es ja auch nicht, mit dir darf keiner reden, oder Sprechverbot oder Korrektion, nichts zum Essen. Ich bin ja nicht umsonst in den Hungerstreik gegangen.
Franz Pulkert:
Da hab ich vom Bürgermeister einen Orden bekommen, als Zeitzeuge, das Goldene Verdienstkreuz oder wie das heißt. Ich finde das eher so eine Art Kriegsorden, dass man die Zeit überstanden hat, und nicht für den Spiegelgrund, nicht? Oder man hat uns halt so mehr oder weniger abgespeist, jetzt wollen wir schon einmal Ruhe haben, denen hängen wir einen Orden um, und damit haben wir Ruhe. Aber ich finde die Entschädigung..., ja, nur ist sie zu spät gekommen, viel zu spät! 100.000 Schilling, wenn ich das als Zwanzigjähriger bekommen hätte, da wäre das etwas gewesen! Da haben wir eine Wohnung gebraucht usw., das wäre es gewesen! Nachher, wenn ich es nicht gehabt hätte, hätte ich mir das andere so auch gekauft. Aber so war es..., es war nicht, sagen wir in dem Sinn, dass ich sage, ja das, das – das war halt eine Entschädigung und aus. Ich habe dann oft gesagt, da müsste ich für Wimmersdorf auch eine Entschädigung..., da bin ich sieben Jahre lang geschlagen worden, da müsste ich eigentlich mehr bekommen als vom Spiegelgrund.