Interview Ferdinand Schimatzek
Also meine Geburtsdaten sind ja bekannt: 3. 6. ’39 geboren in Amstetten, damals Niederdonau. Meine Mutter Schimatzek Anastasia, Hausfrau, eine Slowenin, ist in der Schuschnigg-Zeit nach Österreich gekommen und hat hier meinen Vater kennengelernt. Ich habe meinen Vater nie persönlich kennengelernt, er ist verstorben 1943 und war aber bereits, hochinteressant, Weltkriegsteilnehmer, Weltkriegsteilnehmer Nummer eins.
Er wurde dann verletzt, ein Fuß, ein Bein amputiert, und hat noch vom seligen Kaiser Karl eine Pension gekriegt, 75 Kronen damals, ich weiß jetzt nicht [ob] im Monat, das habe ich nicht eruieren können. Aber, interessant, das habe ich alles nicht gewusst, man muss sich das vorstellen, meine Mutter hat mir das nicht gesagt, auch in späteren Jahren nicht. Und der gute Mann war natürlich befreit vom Kriegsdienst und war aber Schlosser, Maschinenschlosser, und hat unter dieser Zeit im Bezirk Scheibbs, also in Gaming, glaube ich, als Schlosser gearbeitet bei der Firma, heute Firma Worthington, die haben diese Stahlflaschen für die U-Boote gemacht, also Kriegsmaterial, und da hat es Arbeiterlager gegeben und so weiter.
Ich bin geboren im Juni, ja, und bereits am 20. 9. ’39 haben sie meine Mutter bedrängt, ich wurde in die KÜST eingeliefert, ja, und war dort drei Monate bis 20. Dezember, und dann kam ich zu einer Familie, Pflegeeltern, und zwar war das die Familie Schlüpfinger [?] in Kirchstetten, Gemeinde Totzenbach, also Bezirk St. Pölten heute.
...also zwei Monate war ich in der…, mit sechs Monaten haben sie mich schon in die KÜST [gegeben]. So ein Baby, das ist ein Wahnsinn, drei Monate in der KÜST, das ist ja furchtbar. Nachher ist mir eben des Schaudern dann gekommen, „Kinderübernahmsstelle gewesen...“, und vom November ’39 bis 31. Mai ’43 war ich da eben in Kirchstetten, also Katastralgemeinde Fuchsberg, es gibt Fotos, war ich dort, habe ich alles fotografiert, und war ich eben dort, und dann bin ich am 31. 5 wieder zu den Kindeseltern gekommen und am 9. 10. dann eigentlich… Da sind natürlich immer die Atteste, „gut genährt, Verbrennungen am Ober- und Unterarm“, wo ich mir das zugezogen habe weiß ich nicht, vermutlich da bei der Pflegemutter, meine Mutter hat es nicht gewusst, und dann bin ich eben in die Nervenklinik Spiegelgrund gekommen.
Ja, also erinnern kann ich mich an diese Sachen und zwar, das Schreckliche was war, an die Zucht und Ordnung kann ich mich schon erinnern und auch an diese sogenannten „Speiberln“, Brechtabletten, also daran kann ich mich gut erinnern, aber auch erst wieder seit ich das gehört habe, aber ich weiß, ich habe es gefühlt und zwar mit dem leeren Magen erbrechen müssen, weil das gereizt war, das war natürlich eine wirkliche Strafe, das ist meine Erinnerung; ich erinnere mich an eine ganz einfache Weihnachtsfeier dort, ich erinnere mich, dass da quasi eine Spielmöglichkeit war und eine Lernmöglichkeit, und eigentlich erst durch meine Krankengeschichte, die Krankengeschichten, die ja eh bekannt sind, so haben die [das] Format von jedem, da war so ein Umschlag, und da sehe ich aber, da ist dann ein Abschlussbericht erstellt worden, habe ich gezeichnet, das sind da so Sachen, dann habe ich übersetzt in Kurrent..., und wenn ich da kurz vielleicht..., weil das ist mehr..., die Erinnerung ist jetzt doch irgendwie..., hier steht es in Kurrent, und das sagt vielleicht mehr aus, als wenn ich erzähle, ja?
[Liest aus Krankengeschichte vor:] „Am 19. Dezember ’44, also Oktober ’44“, Entschuldigung, also kurz, als ich dort angekommen [bin]: „Ferdi ist ein ruhiges Kind, etwas zurückgezogen die ersten paar Tage gewesen, man hat ihm fast alles, wenn man ihn um etwas gefragt hat, herausziehen müssen.“ – „von ihm“ steht da. Ich mache das wörtlich aus der Kurrent[schrift]. „Mit den Kindern hat er sich gleich gut vertragen, ist nicht streitsüchtig und [ist] gutmütig. Zur Schwester ist er schüchtern und spricht wenig, ist folgsam. Ferdi hat heute sich zum ersten Mal zur Arbeit angetragen, war geschickt beim Tisch abwischen.“ Na schön! „Das Kind sagt, er hat Zeitlang hier.“ – Ach so, also ich habe Zeitlang, mir war vermutlich langweilig hier – „Weil er nicht immer hinaus kann, man sieht, wie er sich freut, wenn man in den Garten geht, oder spazieren, so ist das Kind gleich lustiger und läuft fest umher.“ Die Schwester Grabner. Also das wird vermutlich sein, weil ich da bei den Zieheltern am Land war, daher der Drang nach draußen, vermutlich.
Da kommt auch der Dr. Illing vor, der hat da den Körperbefund gemacht. „Milieuschaden Nummer 21“ habe ich gehabt. „Heute in das Kinderheim Pötzleinsdorf überstellt.“ Also, weil da war das schon Jänner ’45, und dieser Bormann-Befehl ist gekommen, und da ist dann noch eine Intelligenzprüfung drinnen, nach Binet-[Simon], also man muss schon sagen, heute rückblickend, nicht lobend aber – interessant, nicht. Beobachtungen in der Gruppe: „Ferdinand war anfangs etwas schüchtern, antwortet nur auf Fragen, wurde aber bald zutraulich und fügt sich rasch ein. Vor einigen Tagen kam er zur Schwester und meinte, er hätte Zeitlang. „Ich möchte gerne helfen“, habe ich mich angetragen. „Und als ihm daraufhin Tische abwischen gezeigt wurde, stellt er sich sehr geschickt an.“ Also der hat das da auch wieder geschrieben. „Mit seinen Kameraden...“ – also, das wiederholt sich. „Ferdinand macht bei allen Spielen mit, singt auch allein Lieder vor, doch ist seine Aussprache nicht immer verständlich. Am Besuchstag trennt er sich nur schwer und unter Tränen von seiner Mutter.“
Ich kann mich nur erinnern, dass natürlich der Hunger, den man als Kind hat..., wir haben immer geschaut, wann die Essenszeit ist, also so quasi es war Vormittag Frühstück, ich kann mich auch gar nicht erinnern, was für ein Frühstück wir bekommen haben, aber da hat man schon wieder darauf gewartet, [auf] Mittag, und dann ist man hinausgegangen, hat eine Runde gedreht, innerhalb der Mauern, der Steinhof-Mauer heute, und dann ist wieder am Nachmittag vielleicht gesungen worden, diese damals nationalsozialistischen Kinderlieder. Daran erinnere ich mich, und zum Beispiel an die NS-Zeit oder NS-Umgebung kann ich mich eigentlich nur erinnern, dass ich natürlich sehr ehrfurchtsvoll gegenüber der Obrigkeit [war], also dem Vorgesetzten [gegenüber] habe ich schon, also da habe ich mich schon immer gefürchtet und geschaut, dass ich nicht anecke, nicht? Ich erinnere mich an die großen Schlafsäle, mit dem blauen Licht beleuchtet, also man hat da überall hingesehen, jede Ecke, aber wir haben da als Kinder geschlafen, weil wir wahrscheinlich müde waren und weiß nicht... Als Kind nimmt man das ja interessanterweise gar nicht so richtig wahr.
Ja ja, nein, und zwar, ich weiß nicht warum, es wird eine Kreuzung [Mischung] gewesen sein, weil ja, von meiner Mutter, wie ich weggekommen bin, die hat mich nicht erziehen können, die hat in die Arbeit müssen, ich bin auf der Gasse herumgerannt, mit Freunden. Verstehe ich ja alles, die hat ja einen schweren Beruf gehabt, die hat in der Metallschleiferei [gearbeitet], Galvanisation, also das Schrecklichste, in den [Metall-]Bädern, später dann bei Brüder Bablik in Brunn [am Gebirge], also ein Wahn[sinn], ich habe nicht einmal atmen können, ich habe sie ein paar Mal abgeholt, und die hat da..., alle Masten werden da ja verzinkt und die Kübel; und die hat dort im Akkord gearbeitet. Und wenn man sich das geografisch anschaut, gewohnt haben wir damals in Vösendorf, wo heute, also damals der Konsum [war]. Anfang von Vösendorf auf der Dresdner Straße, und die Brunner Verzinkerei war in Brunn am Gebirge und die Morgenschicht um sechs Uhr, hat sie gehabt, sechs Uhr bis zwei Uhr, ist kein Autobus hingefahren, musste sie zu Fuß gehen, also man muss sich vorstellen, von Vösendorf geografisch bis Brunn am Gebirge einmal dort hingehen, da ist man ja schon tot.
Und ja, dann eben diese Spiegelgrund-Geschichte. Da, beim Herannahen der Roten Armee, hat man gesagt – wie es da diese Urk[unden] gibt –, die Kinder, die müssen verschickt werden, es war da ein Bormann-Befehl, den habe ich ihnen gegeben, eben diese Kinder zu verschicken.
Ja, die Reise, an die Reise kann ich mich erinnern, die war schon voller Angst und Schrecken, weil man war schon so ein bisschen sich selbst überlassen, vegetieren, man sucht als Kind in der..., im Selbsterhaltungstrieb irgendwie ein Eckerl [zum] Sitzen und [will] angeschlossen [sein]. Aber es hat sich..., ich bin mir vorgekommen, als ob sich niemand um mich gekümmert hätte. Und ich weiß auch, dass ich dort rohe Kartoffel gegessen habe, dass wir Gras gegessen haben, weil die haben uns dort logieren lassen auf einer Wiese, und zwar war das eine Pferdekoppel, das weiß ich noch, weil ein Kind wurde von einem Pferd schwer verletzt, ich Gott sei Dank nicht, ich habe mich nur gefürchtet bis auf die Knochen, schlaflose Nächte auch unter freiem Himmel, das weiß ich ganz genau. Und dann, aber wenn man sich das Datum anschaut, war das schon eine geraume Zeit, aber dann auf einmal sind wir zusammengesammelt worden, in den Zug hinein und nach Wien verschickt worden.
Weil meine Eltern haben dann – meine Mutter, und wahrscheinlich hat der Stiefvater den Antrieb gegeben – [mich] nach Mödling ins Waisenhaus, Erziehungsanstalt eigentlich [gebracht]. Hyrtl’sches Waisenhaus, das ist ja nur ein Pseudonym nach dem..., um die Jahrhundertwende, war ja auch nur für Begabte, aber dann war es nichts anderes als eine schwere Erziehungsanstalt, eine Erziehungsanstalt, und dort bin ich hingekommen und siehe da, Klassenbester und so weiter, also gut eben, und habe ich gelernt, gute Noten gehabt, herrlich herrlich herrlich, und dort interessanterweise dasselbe, da durfte wieder einmal einer gehen, Besuch mit den Eltern, außer Haus, Ausgang, sogenannt, und wieder haben sie mich da ausgesucht.
Der Erziehungs[stil], naja, der ist nahtlos weitergegangen, wie die Frau Dr. Schaukal schreibt, das ist nahtlos, weil die Kinder sind geschlagen worden, sekkiert worden bis aufs Blut, nicht, Schuhputzen, da hat man schon eine Dose Pasta drauf, und die waren alleweil nicht sauber, wenn einer ein freches Wort [gesagt hat], hat er seine Ohrfeigen bekommen.
Ja, ja, Zucht und Ordnung, autoritär, eben so nationalsozialistische Erziehungsmethoden, Napola. Ja klar, weil die waren, die sind ja schon dort gewesen, vor dem Krieg sogar, einzelne. Ich kann mich erinnern, wie sie uns erzählt haben, waren schon vor dem Krieg... Die haben mit den Schuhen: „Kot auf der Brücke“, hat der gesagt, ist auf dem Staffel dann, auf dem Schuhabsatz..., und kann ich mich erinnern: „Spind! Ich komme in zwei Stunden wieder!“ und so weiter, wir haben da geputzt und so weiter. Am Abend durfte dann, natürlich wer brav war, den Fußboden wachsen, das war ein Schiffboden, mit Wachs eingelassen, und mit dem Fuß und mit der Bürste haben wir da gebürstet, gebürstet, gebürstet, und der und der hat ein bisschen länger aufbleiben dürfen, aber das war auch schon alles.
Ja, dann kam ich eben zu diesem Meister und habe gerne dort gearbeitet, Schlosserei hat mir gefallen und habe auch die Gesellenprüfung gemacht, Gesellenstück, alles sehr schön, und dann war die Zeit, da hat dann mein Stiefvater eben mit meiner Mutter zwei Kinder gehabt, und die Kinder sind dann so halbwüchsig gewesen, und man hat mich aus dem Lehrlingsheim geholt, und zwar haben mich mein Stiefvater und meine Mutter geholt, da war ich so halbwüchsig, 14 oder 15 Jahre alt, Kinder aufpassen, das war eigentlich der Sinn und Zweck, sonst wäre ich noch dort geblieben. Bin ich dann endlich nach Hause gekommen und dafür, meine Lebensstruktur..., ich habe ein Familienleben nie kennengelernt, wie einer mit Geschwistern aufwächst, oder wie man..., eben von der Struktur her, die Familie..., habe ich ja nie gehabt, immer Heime, Heime, Heime, nicht, und das war eben, das hat mich schon... Na, und dann bin ich nach Hause gekommen, da habe ich auch die Lehre fertig [gemacht], das war schon unter der Lehrzeit, habe die Lehre fertig [gemacht], und ist die Zeit zum Einrücken gekommen.
Und bin dann zum Militär gekommen, zum Feldjäger-Bataillon 5 in die damalige Fasangartenkaserne, und habe meine Ausbildung gemacht, bin nach der Ausbildung abgerüstet und bin wieder in die Schlosserei gegangen, und da habe ich mir gedacht, das ist auch nicht das Wahre, das kalte Eisen und so weiter, das hat mir momentan dann nicht gefallen, und mir hat dann [folgendes] zugesagt, es gäbe einen verlängerten ordentlichen Präsenzdienst, hat man die Möglichkeit noch sechs Monate an[zuschließen], und während dieser Zeit habe ich mich dann aber verpflichtet, und da habe ich mich sehr gut eingefunden, eben beim Militär, weil das war schon mein Gruppenverhalten...
Es war zum Beispiel so, ich bin drei Mal in [einem] Jahr befördert worden, das kann man sich ja gar nicht vorstellen. Am 1. April, am 1. Juni und am 1. September: Gefreiter, Korporal, Zugsführer, also und das war herrlich, und da glaube ich jetzt, da ist das zum Tragen gekommen, der Spiegelgrund und diese Heimerziehung.
Meinen leiblichen Vater habe ich nicht kennen[gelernt], und dann hatte ich kein Familienleben. Ich habe ja selbst ein Familienleben..., später dann schon, meine Kinder sind sehr tüchtig, meine Tochter wird 49 Jahre alt, die ist eine Friseurmeisterin unten auf der Linzer Straße, hat ein schönes Häuschen in Gablitz, zwei große Enkelkinder, und mein Sohn, der hier auch wohnt, nur ist er jetzt auf Urlaub, der ist bei der Bank Austria, hat eine gute Position in der Zentrale.
Ich habe es in meinem Büro bis zur Dienstklasse fünf gebracht, Fachoberinspektor, das ist ja militärisch die Kategorie wie ein Major, nicht, aber wenn man so in der Besoldung... rein will... Bin zufrieden, halbwegs gesund, ja.
Na, und... das war eigentlich der berufliche Kreis, mein Kreis. Ich habe nur, natürlich, jetzt schaue ich nur kurz nach, und zwar will ich da nur, da habe ich so ein Konvolut, und zwar habe ich da geschrieben: „Man kann keinen Strich darunter machen, von Heim zu Heim, vom Spiegelgrund ins Pensionistenheim.“