Interview Alfred Grasel
Die ersten Erinnerungen eigentlich sind keine, nur an das KZ am meisten und an die Heime. Schauen Sie, es ist ja so einfach erklärt, aus den Unterlagen sehen Sie dann mehr. Meine Mutter hat mich, ich war 14 Tage alt, am 21. Juni bin ich geboren, gestern habe ich Geburtstag gehabt, und am 5. Juli hat sie mich weggegeben. Hat gesagt, sie ist obdachlos, und hat mich in die Lustkandlgasse in die ehemalige Kinderübernahmsstelle gegeben. Und von da an habe ich alle Heime gehabt und einige Pflegeplätze, die ich selbst nicht mehr gewusst habe, die man aber da aus den Unterlagen sieht.
’31, ’32 habe ich dann einen Pflegeplatz gefunden bei einer Familie Thuma, wo ich später dann, ’38, festgestellt habe, dass sie illegale Nationalsozialistin war. Waren eigentlich sechs Jahre, die angenehm waren, in der Freiheit, wo ich Schule und auch Freunde gehabt habe. Das waren eigentlich die sechs Jahre, die ich gut in Erinnerung habe.
Das war ’32 bis ’38. Und dann hat sie mich ’38 weggegeben. Da drinnen habe ich gelesen, dass sie gesagt hat, ich habe sie bestohlen. Ich weiß nicht was, aber das ist ja egal. Aber sie war illegale Nazi, und ich bin jüdischer Abstammung, wahrscheinlich.
Alles andere sind nur mehr dann Heimerinnerungen, an sämtliche Heime. Da sind die Heime dabei, die ich nicht einmal mehr gewusst habe, so wie die Dreherstraße, das Zentralkinderheim in der Bastiengasse, das Mödlinger Waisenhaus/Hyrtl’sches Waisenhaus, den Spiegelgrund, dann die Kinderübernahmsstelle, dann die Dreherstraße, dann die Juchgasse, Lehrlingsheim und anschließend das KZ.
Eigentlich sind die Erinnerungen an das Hyrtl’sche Waisenhaus positiv. Naja, was heißt positiv? Ich kann mich zu wenig erinnern. Auf jeden Fall: Wir haben Sport gemacht, Fußball gespielt, und wir haben auch dort frei gehabt. Ich weiß noch, dass wir dort in ein Zuckerlgeschäft gegangen sind, stehlen. Da waren wir ein paar Buben und haben dem Verkäufer gesagt: „Da oben, das wollen wir.“ Und der ist hinaufgeklettert, und derweilen haben wir ihm herunten alles gestohlen. Das sind Sachen, die mir in Gedanken geblieben sind. Wenn ich heute daran denke, wie arm der Mann damals war, der von dem bisschen kargen Lohn gelebt hat, und wir haben ihn auch noch bestohlen! Aber wir haben nichts gehabt damals!
Der Spiegelgrund war nach Mödling. Ich war damals auch wieder etwas bevorzugt, ich war bei dem Essenholen dabei. Die haben auch einen Zug mit elektrischer Lok gehabt, und ich musste mit dieser Lok das Essen zu den Pavillons bringen. Ich war auch dort wieder etwas bevorzugt, aufgrund meines Alters. Ich war ja einer der Ältesten, denn ich war damals schon 15, die anderen waren alle kleiner oder jünger.
Ich war ja schwererziehbar. Das steht ja auch überall drinnen. Ich geniere mich auch nicht. Bin ein schwererziehbarer Bursche gewesen. Aber es ist ja kein Wunder. Wenn ich heute überlege, ist das logisch, wenn nur Zwang... Meine Kinder sind frei aufgewachsen, sind heute alle etwas geworden. Die Enkelkinder sind Magister, Ingenieure und so weiter, aber in Freiheit, ohne Zwang. Ich habe ja alles machen müssen, was die anderen wollten. Natürlich hat man sich da gewehrt, und natürlich hat man nicht immer das gemacht, wie es die wollten, und natürlich sind auch Schlechtigkeiten vorgekommen.
Der Spiegelgrund selbst, ich kann mich erinnern, war bestimmt sehr schlecht, weil ich bin zweimal geflüchtet, was man da drinnen sieht. Einmal bin ich ins Spital gekommen und einmal, weiß ich, da war ich in einer Zelle, in einem Raum, wie und was, weiß ich nicht mehr. Mir war furchtbar schlecht, aber mehr weiß ich auch nicht mehr. Ich war ein paar Tage, ich will nicht sagen bewusstlos, weil ich weiß das ja noch, aber „nicht da“, vielleicht desinteressiert, vielleicht ganz apathisch oder was.
Hunger. Hunger war immer. Hunger. Es war auch nicht sehr reichhaltig, das Essen. Ich weiß heute nicht mehr, was es gegeben hat, ich will da keine Märchen erzählen. Ich weiß es vom KZ, wo täglich fast das Gleiche war, diese Kohlsuppe, oder diese Rübensuppe. Aber gehungert haben die immer, denn es hat keiner zuviel…, das ist nicht nach Kalorien gegangen, man hat geschaut, dass sie nicht verhungern, aber auch nicht, dass sie satt werden. Damit hat man sie mehr unter Zwang gehabt. Aber zum Spiegelgrund selbst habe ich wenige Erlebnisse. Die 15 Monate – zweimal bin ich davongelaufen – sind schnell vorbei gewesen.
Das [Weglaufen] war eigentlich leicht, weil ich ja in der Freiheit war, mit der Lok. Ich musste mit der Lok von der Küche weg und zu den ganzen Pavillons, auch in die Lungenheilstätte – anschließend an die Pavillons der Jugendlichen war die Lungenheilstätte. Ich konnte dort hinein und dort über den Zaun und war einige Tage in Freiheit. Wie lange weiß ich nicht mehr, das sieht man dort drinnen. Man hat mich jedes Mal erwischt. Einmal war es die Pflegemutter, die mich zurückgegeben hat, und das andere Mal hat man mich im Prater aufgegriffen. Da waren wir geflüchtet und wussten nicht, wo wir schlafen sollten, da haben wir im Prater... Wo heute das Riesenrad ist, da hat es zwei Sturmboote gegeben, das waren zwei Waggons, so groß circa wie dieses Zimmer, darin sind 30 Leute gesessen, das hat geschaukelt, und dort haben wir geschlafen. Und gerade wie wir in der Früh munter aufstehen, ist unten die Schutzpolizei, die Polizei gewesen. Dann war es schon wieder vorbei, das eine Mal. Das war jetzt das zweite Mal, und das erste Mal hat meine Pflegemutter angerufen, haben sie mich geholt.
Da habe ich Injektionen kriegt, aber was? Wenn Sie mich fragen, ich weiß nicht, was die alle... Brechinjektionen. Ich will da nichts sagen, ich kenne das nicht, auf jeden Fall Injektionen, wo man mir gesagt hat: „Du wirst nicht mehr davonlaufen“. Wo mir furchtbar schlecht geworden ist, und dann weiß ich nichts mehr, dann war ich, nicht bewusstlos, würde ich nicht sagen, dass ich war, ich weiß gar nichts aus der Zeit. Ich war in der Zelle und apathisch, geschlafen, aber auch nicht geschlafen, ich weiß nicht. Das hat Tage gedauert, bis sie mich dann eines Tages geholt haben und auf Reise..., auf die Roßauer Lände gebracht haben, da ist das Polizeigefangenenhaus. Dort waren wir in einer Zelle mit 50 Leuten, und von dort ist es dann weitergegangen nach Deutschland, auch dort ins Polizeigefangenhaus, am Alexanderplatz, Berlin, und von dort dann ins KZ Moringen.
Ich habe immer geglaubt, es wird besser, habe mir immer gedacht, es wird freier. Mir war alles recht, und eine Reise, mit dem Zug und so, war angenehm, fein. Wer weiß, wie es uns jetzt geht und so. Na, dann bin ich dort ins KZ, und dann hat schon der Drill angefangen, mit dem Messen, Vermessen, und das Anschreien: „Stehen Sie gerade!“ – „Sie“ haben sie ja nicht gesagt, sondern: „Steh gerade!“ – Und dann hat es keinen Namen mehr gegeben, sondern nur Nummern. Meine Nummer, das zufällig habe ich mir gemerkt, weil ich mir Zahlen merke, war sieben-achtundsechzig. Circa 1000 Jugendliche waren in dem KZ.
Eigentlich der erste Eindruck, gar keiner, denn da wurden [wir] aussortiert, und dann waren wir in B, Block B, Beobachtung. Am Block F war ich eigentlich, F hat sich das genannt: „fraglich erziehungswürdig“, also: „Vielleicht kann man aus denen noch was machen“, so hat sich das genannt. Und ich war eingeteilt zum Kartoffelsortieren. Als Neuer. Und da mussten wir im Keller unten die Kartoffeln sortieren: kleine, mittlere und große. Ich glaube, der Sinn war nur, dass ziemlich alle gleich große kriegen. Nichts anderes, nicht, dass der eine mehr oder weniger, und da habe ich ein paar Kartoffeln gestohlen und habe sie mitgenommen. Und wir haben so einen kleinen Ofen in der Baracke gehabt, und da haben wir gebraten. Natürlich hat das die SS gerochen. „Was ist?“ War nichts übrig geblieben, habe ich mich gemeldet. Dafür hat es gegeben 15 Stockschläge auf den nackten Hintern. Musste man sich ausziehen, über einen Schemel knien und mitzählen: „Eins, zwei…“ Und am Schluss: „Zögling sieben-achtundsechzig hat 15 Stockschläge dankend erhalten.“ Das war die Bedingung: „Dankend!“ Also sadistisch bis dorthinein. Das sind die Erinnerungen. Und dann bin ich später eben in die „Muna“ gekommen, sind wir täglich mit dem Auto gefahren, ich schätze, Volpriehausen wird sein 40 Kilometer oder was, in die Munitionsanstalt, und dort unter Tag, 540 Meter, war natürlich angenehm warm. Und der Vorteil war, dass wir dort täglich baden haben müssen. Weil das war ein Kalisalzbergwerk, wir mussten uns beim Reingehen ganz nackt ausziehen, die Arbeitskleidung anziehen, und die Sachen raufhängen, so wie es im Bergwerk ist, und am Abend beim Zurück wieder duschen und wieder das Arbeitsgewand – so dass wir täglich mit lauem, also nicht kaltem Wasser, sondern lauem Wasser duschen haben können. Die Reinlichkeit war der einzige große Vorteil. Aber sonst hat es dort sehr wenig Essen gegeben, auch im KZ, und Schläge hat es immer gegeben, Stockschläge, dann hat es Robben gegeben. Der ganze Block musste zur Strafe – da gibt es ein..., man nennt das „Blutacker“, es ist in den Unterlagen vermerkt, wo man robben hat müssen auf den Händen und so weiter, als Strafe, bis man selber wund war. Also sadistisch bis dorthinein, das war die SS. Dass es am Schluss dann, 1944, noch schlimmer geworden ist, denn die guten SS-Leute sind ja alle zum Militär, und dann hat man die Volksdeutschen gebracht. Also der Großteil von denen konnte nicht einmal gut Deutsch. Also Rumänen, Bulgaren, also Volksdeutsche, die aus diesen Ländern kommen, die natürlich sadistisch durch und durch waren. Die geglaubt haben, weiß Gott, sie sind Kaiser, oder was weiß ich. Mit den Jugendlichen kann man machen, was man will. Das sind die Erinnerungen an diese Zeit, furchtbare Zeit.
Das waren Kisten mit je, ich weiß es heute nicht mehr, sechs oder neun Granaten, die so groß sind. Kisten, ich musste sie verladen, aufladen auf den Hunt drauf, dann zum Schacht führen, die sind über Tag gekommen und dort auf den Waggon verladen worden. Das habe nicht ich gemacht, das haben dann andere wieder gemacht, sondern ich war nur unten bei der Lok, und die Fertigung wurde von polnischen oder russischen Frauen, die interniert waren, durchgeführt, und die Jugendlichen waren eigentlich nur Hilfsarbeiter. Die Verladung, das Zureichen, das Hinbringen und so weiter. Und ich habe das Glück gehabt bei der Lok zu sein und eben zu dirigieren: Saal 2, holen wir jetzt die ab, oder jetzt bringen wir es zum Schacht, oder vom Schacht holen wir die Hunte, die neuen, die leeren wieder ab und koppeln, und das war meine Aufgabe den ganzen Tag.
Die Arbeitszeit war circa zehn Stunden, ungefähr, aber ich will da jetzt nicht etwas erzählen, aber ich schätze, wir sind in der Früh weg um sechs und am Abend um sechs nach Hause gekommen wieder, eine halbe Stunde war Fahrtzeit, Umkleiden, also ich schätze zehn Stunden wird die Arbeitszeit gewesen sein, die wir wirklich gearbeitet haben dort.
Am Abend hat es noch gegeben Sport, und Strafstehen, weil irgendetwas ist immer vorgekommen, also richtig sadistisch. Man hat das ausgenutzt, wenn irgendeine Kleinigkeit war, dass man den ganzen Block gestraft hat. Und wenn das vorüber war, dann ins Bett. Und das waren Strohsäcke, wo man froh war, wenn man schlafen hat können.
Man hat müssen in der Früh, wenn geweckt worden ist, vis-à-vis, man sieht es da drauf, waren die Waschräume, über den Hof drüber, kalt waschen und so, und die Latrine, also die Toiletten auch, und dann um 6:30, ich weiß heute nicht mehr die Zeit, also ich müsste Sie anlügen, da hat es geheißen, nicht Strafstehen, sondern Appell. Da ist abgezählt worden, und dann wurde auf die Autos verladen, und dann sind wir gefahren. Meistens waren es drei Autos, ich schätze, es waren 100 Leute circa, die da immer vom Lager in die Munitionsanstalt gefahren sind.
Es hat nur unterschiedliche Blöcke gegeben. Den F, Block F, dann die „politisch Fragwürdigen”, dann die „Erziehungs-Fragwürdigen“, dann die „Nicht-Erziehungs-Mäßigen“, da hat es einen Block gegeben, da sind die meisten dann weggeschickt worden. Ich glaube, die hat man vergast oder was, die überhaupt nicht mehr getaugt haben. Es hat ja solche auch gegeben. Querulanten zum Beispiel, der überhaupt nicht wollen hat. Auf einmal war der nicht da, der ist weg. Der ist auf Erholung, oder was weiß ich. Es hat ja niemand was gesprochen. Die waren ja auch uns keine Rechenschaft schuldig und haben auch uns nichts gesagt, wo der oder der ist. Aber Strafen hat es immer gegeben.
Da hat es viele Arbeiten gegeben: am Straßenbau, dann eine gewisse Firma Piller, die so Elektromotoren…, dort hat man gearbeitet, dann beim Autobahnbau, Landwirtschaft. Die Jugendlichen haben, ich schätze auf zehn verschiedenen Plätzen gearbeitet. Der Großteil war eben in Volpriehausen in der Munitionsanstalt. Da wurden die meisten eingesetzt, weil das ja eine schwere Arbeit ist und viel, die Munition. Erstens einmal die Entladung vorher der einzelnen Teile, dann nach der Fertigung wieder die Verladung der fertigen Teile und so weiter und Transport und so, wo man die Jugendlichen brauchen hat können. Weil die Fertigung selber haben die Frauen gemacht, wobei da viel kaputt gemacht worden ist, und natürlich, das waren Ausländerinnen, Polen oder Russinnen, ich weiß nicht, was sie waren, aber ich nehme an solche Länder.
Die waren da in dem Saal drinnen und haben dort gearbeitet, und da war die SS, die aufgepasst hat, weil flüchten hat ja keiner können dort, weil es waren 540 Meter, er hätte müssen mit dem Schacht, mit dem Lift rauffahren. SS war wenig unten, es waren mehr Feuerwerker, Militär-Feuerwerker, die dafür verantwortlich sind, aber SS selber... War keine Möglichkeit zur Flucht, ist auch keiner geflüchtet. Und die haben ihre Arbeit gehabt, da hat man überhaupt nichts mitbekommen. Es war eigentlich sehr friedlich, wenn man so sagt, weil sie sind gesessen und haben gearbeitet, wie, was, weiß ich nicht. Ich habe nur dann aufgeladen und bin weggefahren und wieder hin. Also man hat eigentlich das wenig gesehen. Da hat man nicht viel mitbekommen.
Wenn wir heute, wir besuchen ja immer, irgendwo werden Bilder sein, es gibt 54 Gräber, die man dort in Moringen gefunden hat, die begraben sind in Moringen. Also sie können sich vorstellen, 54 Jugendliche, ich glaube, 54 sind es, zwischen 16 und 19 Jahren, sind in den drei Jahren, die ich dort war, gestorben, also muss irgendwas schlecht sein. Und die liegen am Friedhof in Moringen, haben eine eigene Grabstätte, wird auch jedes Jahr geehrt, und drei Tote hat es extra gegeben, die sind mit dem Auto, das kann ich mich erinnern, die sind mit dem Auto gefahren, und der Wagen ist über die Böschung abgestürzt. Und in den Wagen unten waren Eisenplatten, und auf den Eisenplatten sind die Bänke zum Sitzen gewesen, und die waren aber nicht befestigt, die Eisenplatten. Der ist umgestürzt, und drei waren tot. Niemand wusste davon, aber mir hat das keine Ruhe gelassen, wir haben es dann an den Gräbern gefunden, drei gleiche Tote. Ich glaube, es war Jänner 1945, ich weiß es nicht mehr.
Und da habe ich dann die schwere Verletzung gehabt, am 22. Februar 1945. Am Ende der Schicht musste ich die Lok putzen, und ich weiß nicht warum, ist er zurückgefahren. Ich bin an der Wand gestanden, und die Lok ist vor mir gewesen, und er ist zurückgefahren.
Wir waren näher wie wir zwei. Denn er ist hier gesessen, und ich habe hinten geputzt. Er hat nur gewartet, bis wir fertig sind, und dann über Tag. Also das war reine Absicht. Nur hat er gesagt, der Stabsführer, ich wollte Selbstverstümmelung, ich habe die Lok in Betrieb genommen. Natürlich unmöglich!
Aber, das ist ja nicht normal, ich wollte Selbstverstümmelung machen, weil ich nicht arbeiten wollte. Das hat er gesagt, der Stabsführer, bei der Einvernahme, als man ihn gefragt hat, wie das passiert ist. Aber dagegen habe ich ja nichts machen können. Ich war nicht einmal bewusstlos, ich weiß heute noch genau, es war so am Abend, um neun Uhr circa. Ich weiß nur nachher nicht mehr, wie die Operation war, dann weiß ich nichts mehr.
Dadurch bin ich ein 100-prozentiger Invalide. Fuß gequetscht, offener Bruch und alles, doppelseitigen Beckenbruch und, und, und. Aber ich habe das Glück gehabt, dass der Arzt, der Lagerarzt, Doktor Wolter-Pecksen, ein illegaler Nationalsozialist, aber ein Arzt war, der mich behandelt hat und eigentlich das Leben gerettet hat. Denn man wollte mit mir nach Göttingen fahren, von Volpriehausen nach Göttingen sind es circa 40 km, dort ist ja die Universitätsklinik, aber dort wäre ich wahrscheinlich der Euthanasie zum Opfer gefallen. Denn man hat ja gesagt: „Das Leben ist nichts mehr wert.“ Aber wir konnten nicht weiter, es waren so starke Schneewehen, es war ein strenger Winter, der Winter ’44/’45, mussten wir ins Lager, und der Arzt hat mich operiert. Ich habe 23 Nähte und 18 Klammern am Fuß, und der hat mich die ganzen Monate durchgebracht.
Das war da unten, und da sind die Schläuche durchgegangen, dass der Eiter und das rausgeht, und jeden Tag mit dem Skalpell das wilde Fleisch, das [dauert] Sekunden, aber das waren furchtbare Schmerzen. Und da habe ich ihn ersucht: „Herr Doktor, nehmen Sie den Fuß ab!“ Hat er gesagt: „Abgenommen habe ich schon genug.“ Also er hat sich Mühe gegeben, das muss ich sagen, und das rechne ich ihm auch hoch an. Er hat auch nach dem Krieg weitergearbeitet, mit der Ordination. Bei den Amerikanern hat er können weiterarbeiten.
Ich bin ja bis Juni, ich war der Letzte, zwei oder drei, die im Lager waren, weil die anderen sind auf den Todesmarsch gegangen, das ganze Lager, die Jugendlichen sind weg, nur die paar im Lazarett sind geblieben.
Ich war im Lazarett, bis eines Tages Amerikaner reingekommen sind. Der erste Eindruck war, gleich ein stämmiger Neger, ein Schwarzer. „Oh je“, habe ich mir gedacht. Na, was ist jetzt? Und das Gewehr im Anschlag, aber ich habe keine Angst gehabt, ich habe mir gedacht, was geschieht da, und sofort Marlboro, Zigaretten gegeben. Hab aber nicht geraucht damals, nicht einmal gewusst, wie man eine Zigarette anzündet. War der erste Eindruck von den Amerikanern. Aber mit lächelndem Gesicht, der Neger, nicht, aus. Aber wie oder was haben wir nichts gewusst. Bin dann im Lazarett gelegen, weil die Befreiung war ja im Mai, und ich bin erst im Juni entlassen worden.
Es hat keine Befreiung gegeben, denn das Lager war leer. Die sind ja Anfang Mai, das müsste man irgendwo in anderen Unterlagen, ich weiß nicht, sind ja die auf den Todesmarsch, die sagen Todesmarsch, weil so viele umgekommen sind, ums Leben, weg vom Lager, die SS mit den Jugendlichen. Im Lager waren nur mehr ein paar, die im Lazarett waren, und sonst nichts. Ich kann mich erinnern, ich bin gelegen in… Die Plünderung, da waren doch die Lager, die Bevölkerung, die Moringer, hat die Lager geplündert. Drinnen, wo die Kleider, ich meine, die Jugendlichen haben ja nichts Gescheites gehabt, Kleider und so weiter. Das weiß ich noch. Da war ein Wirbel, da hat der Doktor gesagt: „Na, die plündern das Lager aus.“ Aber da war ja niemand mehr, außer dem Doktor und Sanitäter und ein paar Rekonvaleszenten. Dann im Juni habe ich die Entlassung bekommen. Da habe ich den Brief bekommen, in der heutigen Gedenkstätte, das weiß ich noch, da sind zwei Damen dort gesessen, und die haben mir den Brief gegeben. Leider habe ich den nicht mehr, den Entlassungsschein. Weiß nicht einmal, was da draufgestanden ist, und von da ist es nach Wien gegangen. Zu Fuß, per Anhalter und so weiter.
Im Juni war ich dann soweit, dass ich zu Fuß nach Hause [bin]. Da war aber die Wunde noch offen vorne, da bin ich dann in Wien im Rudolfspital gelegen noch – zur Verarztung.
Sie müssen sich vorstellen, keine Mutter, keinen Vater, keinen Bruder, ich habe ja keine Verwandten, niemanden. Bin hier gestanden, und jetzt, wie geht es weiter? Jetzt musste ich einmal schauen, musste ja arbeiten. Ich habe sofort mit dem offenen Fuß, habe in Essling bei einem Straßenpflasterer Arbeit gefunden als Hilfsarbeiter und habe im Hotel geschlafen im 3. Bezirk, und das Hotel hat gekostet, glaube ich, 5 Schilling, und 7 Schilling habe ich verdient. Also das war nicht interessant für mich. Jetzt habe ich natürlich geschaut, wo ich Mädchen finde, das war aber nicht der Gedanke vom Sex, sondern wenn ich jemanden gefunden habe, dann habe ich wo eine Nacht gewonnen.
Denn, ich muss Ihnen sagen, ich habe die ganzen, eigentlich außer dem KZ, ich habe alles, wie soll ich sagen, aus dem Gehirn gestrichen. Ich habe alles verdrängt. Weil es keinen Sinn hat. Schauen Sie, ich bin nach Wien gekommen, bin allein dagestanden. Und jetzt muss ich leben. Und jetzt habe ich natürlich geschaut, da war mir kein KZ, oder wer mich dort gepeinigt hat, oder wer mich geschlagen hat, das war für mich uninteressant. Sondern ich musste schauen, wie lebe ich heute. Was kriege ich, wo kann ich arbeiten. So dass ich eigentlich nur gearbeitet habe. Ich habe sieben Tage gearbeitet. Klar, die Familie ist gewachsen. Wir haben ’46 den ersten Sohn bekommen. ’46, ’49, ’51, ’54 sind die Kinder gekommen. Aber auch, es hat ja keine Pille gegeben, es hat ja damals keine Abtreibung gegeben. Wir waren gezwungen, wir haben ja ein Kabinett gehabt, die Hälfte von dem Zimmer bei der Schwiegermutter, haben natürlich in einem Bett geschlafen, dadurch ist ja natürlich mehr Sex, ohne dass man an die Liebe denkt, und dadurch sind die Kinder auch gekommen, weil vier Kinder ist ja schon eine sehr große Familie. Aber heute bin ich froh darüber. Der älteste Sohn ist verstorben, der da nicht mehr mehr drauf ist. Und so sind die Erinnerungen eigentlich verblasst, weil ich alles verdrängt habe. Natürlich, die KZ-Erinnerungen sind teilweise Tage da. Schläge oder Strafstehen oder Robben. Alles. Aber das ist, auch das habe ich verdrängt. Denn ich habe ein Leben angefangen. Schauen Sie, ich bin vom Hilfsarbeiter..., ich hab’s ja doch… In die Pension bin ich gegangen als Hoteldirektor.